Brexit | Labour-Chef Jeremy Corbyn forderte Johnson zum Rücktritt auf
Britisches Parlament kommt am Mittwoch wieder zusammen
Nach dem höchstrichterlichen Urteil in Grossbritannien gegen die von der Regierung verfügte fünfwöchige Zwangspause des Parlaments kommen die Abgeordneten schon am Mittwoch wieder zusammen.
Das gab Parlamentspräsident John Bercow am Dienstag vor dem Parlament in London bekannt. Der Oberste Gerichtshof des Landes hatte kurz zuvor die von Premierminister Boris Johnson angeordnete mehrwöchige Zwangspause für die Abgeordneten für "illegal" erklärt.
Labour-Chef Jeremy Corbyn forderte Johnson derweil zum Rücktritt auf. Johnson solle vorgezogene Neuwahlen ermöglichen, forderte Corbyn beim Parteitag der Oppositionspartei.
Die elf Richter des Supreme Courts entschieden einstimmig, dass die Zwangspause einen "extremen Effekt" auf das Parlament hatte, seinem verfassungsmässigen Auftrag nachzukommen, wie die Vorsitzende Richterin Lady Brenda Hale bei der Urteilsverkündung ausführte. Das Parlament habe aber ein Recht darauf, in der Zeit vor einem wichtigen Ereignis wie dem geplanten EU-Austritt am 31. Oktober eine Stimme zu haben.
Es handelt sich laut Hale um einen einmaligen Fall, den es unter diesen Umständen noch nie gegeben habe und "den es wahrscheinlich auch nie wieder geben wird". Begonnen hatte die Zwangspause in der Nacht zum 10. September. Bei der Abschlusszeremonie kam es zu tumultartigen Szenen. Das Parlament sollte erst am 14. Oktober - etwa zwei Wochen vor dem geplanten Brexit - wieder zusammentreten.
Juristischer Paukenschlag bringt keine Lösung im Brexit-Streit
Das Urteil des obersten Gerichtshofs in London gegen die von Premierminister Boris Johnson verhängte Parlaments-Zwangspause ist ein Paukenschlag für die britische Innenpolitik. Doch es schafft für die EU keinerlei Klarheit, wohin das Land in Sachen Brexit steuert. Es sind weiter alle Optionen offen.
JOHNSON TRITT ZURÜCK
Die Richter haben festgestellt, dass die verhängte fünfwöchige Zwangspause für das britische Unterhaus kurz vor dem geplanten EU-Austritt am 31. Oktober unrechtmässig ist. Oppositionsführer Jeremy Corbyn rief den konservativen Johnson daraufhin sofort zum Rücktritt auf. Ob der Premier dies tatsächlich tut, ist jetzt die grosse innenpolitische Frage in Grossbritannien - die natürlich massive Auswirkungen auf die Brexit-Verhandlungen hätte.
NEUWAHLEN
Johnson hat selbst Neuwahlen noch vor Ende Oktober gefordert, nachdem er im Unterhaus seine hauchdünne Mehrheit nach dem Ausschluss von 21 Rebellen seiner konservativen Partei verloren hatte.
Die oppositionelle Labour-Partei will dem aber nur zustimmen, wenn ein chaotischer Brexit ohne Abkommen klar ausgeschlossen wird. Dies lehnt Johnson ab. Selbst durch einen Rücktritt könnte Johnson Neuwahlen nicht direkt selbst erzwingen - er braucht dafür die Unterstützung von zwei Dritteln des Unterhauses.
NOCHMALIGE BREXIT-VERSCHIEBUNG
Angesichts der unklaren innenpolitischen Lage könnte London eine erneute Verschiebung des derzeit für den 31. Oktober geplanten Brexit beantragen. Auf EU-Seite müssten die Staats- und Regierungschefs der anderen 27 Mitgliedstaaten einstimmig zustimmen.
Länder wie Frankreich haben ihrerseits erklärt, sie seien nur zu einer weiteren Verschiebung bereit, wenn es einen guten Grund dafür gebe - etwa Neuwahlen oder ein zweites Brexit-Referendum. Auch wenn viele EU-Regierungen wegen des britischen Hin- und Her beim Brexit genervt sind, würden die meisten eine weitere Verschiebung einem chaotischen Austritt wohl vorziehen.
EINIGUNG AUF ABKOMMEN
Johnson könnte versuchen, bis zum 31. Oktober doch noch eine Einigung mit der EU zu erzielen. Das britische Parlament hat den bisher ausgehandelten Austrittsvertrag aber schon drei Mal abgelehnt.
Knackpunkt ist die Auffanglösung für Nordirland, die nach dem Brexit Grenzkontrollen zwischen der britischen Provinz und dem EU-Mitglied Irland verhindern soll. Das Vereinigte Königreich würde dabei vorerst als Ganzes in einer Zollunion mit der EU bleiben. Dies lehnen die Brexit-Hardliner in Grossbritannien strikt ab.
Johnson will deshalb "alternative Vereinbarungen", die sichtbare Grenzkontrollen unnötig machen. Bisher hat der Premierminister Brüssel in diesem Punkt aber nicht überzeugen können.
CHAOTISCHER BREXIT
Bei einem No-Deal-Brexit würde die EU-Mitgliedschaft Grossbritanniens Ende Oktober schlagartig enden. Die Wiedereinführung von Zoll- und Personenkontrollen hätte weitreichende Folgen für Wirtschaft und Bürger. Das Unterhaus hatte jedoch vor der Zwangspause ein Gesetz verabschiedet, das einen Chaos-Brexit ausschliessen soll. Ohne Einigung mit Brüssel soll der Austritt demnach auf Ende Januar verschoben werden.
Johnson hat seinerseits erklärt, er würde lieber "tot im Graben liegen", als den Brexit zum dritten Mal zu verschieben. Kabinettsminister haben angedeutet, die Regierung suche nach Lücken in dem Verschiebungsgesetz des Parlaments, um einen No-Deal-Brexit Ende Oktober weiter möglich zu machen.
RÜCKNAHME DES AUSTRITTSANTRAGS
Für London besteht bis zum Austrittsdatum jederzeit die Möglichkeit, den Brexit-Antrag ohne Zustimmung der EU einseitig zurückzunehmen. Denkbar wäre dies nach einem Sieg von Labour bei eventuellen Neuwahlen. Die Partei hat für diesen Fall ein zweites Referendum mit einer Option zum Verbleib in der EU versprochen.
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