Brexit | Britischer Premierminister droht offen mit Rückzug des Brexit-Deals
Johnson peilt Neuwahlen an
Der britische Premierminister Boris Johnson hat offen damit gedroht, seinen Brexit-Deal aus dem Parlament zurückzuziehen und Neuwahlen anzustreben. Dies sagte Johnson am Dienstag im Unterhaus in London nur wenige Stunden vor einer entscheidenden Abstimmung.
Dies sei dann nötig, wenn ihm die Abgeordneten die Zustimmung für den Zeitplan zur Beratung des Brexit-Gesetzes verweigerten, machte Johnson deutlich. Eine Ablehnung des Zeitplans würde «den Pfad für einen No-Deal-Brexit in neun Tagen öffnen».
Johnson steuerte am Dienstagabend auf eine hauchdünne und möglicherweise wegweisende Parlamentsentscheidung zum Brexit zu. Die Abgeordneten des Unterhauses werden nach der zweiten Lesung des Brexit-Deals nicht nur ein Meinungsbild zu dem Gesetzespaket abgeben, sondern auch über den von Johnson vorgeschlagenen Zeitplan abstimmen.
Der Premierminister sagte weiter, eine Abstimmungsniederlage würde die Macht über den weiteren Verlauf an die EU weitergeben. Der beste Weg, einen No-Deal-Brexit zu vermeiden, sei es, einem Deal zuzustimmen.
Unklare Mehrheitsverhältnisse
Am Mittag, als Johnson die Debatte im Unterhaus eröffnete, waren die Mehrheitsverhältnisse für die Abstimmung am Abend nicht eindeutig. «Wir können den Brexit erledigen und unser Land voranbringen», sagte Johnson an die Abgeordneten gerichtet. Gleichzeitig könnten dann auch die Vorbereitungen für einen ungeregelten Brexit beendet werden.
Während der Premierminister bessere Chancen hat, die Abstimmung zum Meinungsbild zu gewinnen, könnte ihm die Mehrheit für den Zeitplan fehlen.
Unter anderem überlegen nach britischen Medienberichten die zehn Abgeordneten der DUP, gegen den straffen Zeitplan Johnsons zu stimmen, der das 110 Seiten starke Gesetz mit zahlreichen Querverweisen auf weitere Bestimmungen in nur drei Tagen durchboxen will.
Kritik an Brexit-Deal
Kritik war daran zuvor auch von Labour und der schottischen SNP gekommen. Nach BBC-Informationen überlegen auch Rebellen aus Johnsons eigener konservativer Tory-Partei, ihren Regierungschef im Stich zu lassen.
Normalerweise gilt für solche Vorhaben eine Mindestdauer von 21 Tagen für den parlamentarischen Prozess. Die Kritiker machen geltend, in drei Tagen seien die Implikationen des Gesetzes nicht zu erfassen.
Der Labour-Experte Keir Starmer bezeichnete das Vorgehen als «skandalös». Auch Pete Wishart von der Schottischen Nationalpartei war erbost: «Wie um Himmels willen sollen wir die Chance haben, das angemessen zu beurteilen?»
Nach Angaben des Brexit-Experten Joe Owen von der Denkfabrik «The Institute for Government» bekommt das Gesetz zum EU-Austritt weniger Zeit im Unterhaus als ein Gesetz für Wildtiere in britischen Zirkussen.
EU-Parlament stellt Bedingungen
Der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, Guy Verhofstadt, stellte unterdessen Bedingungen für die Ratifizierung des Austrittsvertrags. Es seien noch einige Probleme zu lösen, sagte er am Dienstag im EU-Parlament in Strassburg.
So dürften EU-Bürger aus Grossbritannien nicht ausgewiesen werden, weil sie Fristen zur Registrierung verpasst hätten oder bedürftig seien. «Ich möchte, dass dieses Problem gelöst ist.»
Im übrigen werde das Parlament dem Austrittsvertrag erst zustimmen, wenn das Ratifizierungsverfahren in London abgeschlossen sei, sagte Verhofstadt. Das werde nicht mehr diese Woche geschehen. Johnson hatte auf Geheiss seines Parlaments – widerwillig – eine Verlängerung der Austrittsfrist bis Ende Januar beantragt, die die EU-Staaten bewilligen könnten.
Der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zog vor dem EU-Parlament eine ernüchternde Brexit-Bilanz: «Es war eine Zeit- und Energieverschwendung.» Die EU wird laut EU-Ratspräsident Donald Tusk alles tun, um einen Brexit ohne Vertrag zu verhindern. «Ein No-Deal-Brexit wird niemals unsere Entscheidung sein.»
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