Brexit | Angst vor ungeordnetem Brexit
Konzerne rüsten sich für Ernstfall
Schon in zwei Monaten könnte das Schreckensszenario für die Wirtschaft Realität werden: Am 29. März wird Grossbritannien nach bisherigen Planungen die EU verlassen - und ein Abkommen mit Brüssel für die Beziehungen danach gibt es immer noch nicht.
"Unternehmen quer durch alle Branchen bereiten sich auf den ungeregelten Brexit vor", sagt Alexander Veith, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Allen & Overy. Die Kanzlei berät internationale Firmen bei ihren Vorbereitungen auf den Brexit. Besonders betroffen seien Konzerne, die Werke in Grossbritannien hätten und im Ernstfall um ihre Lieferketten fürchten müssten.
Bei einem ungeregelten Brexit rechnet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag allein für deutsche Firmen mit bis zu 10 Millionen zusätzlichen Zollanmeldungen pro Jahr und mehr als 200 Millionen Euro an neuen Kosten nur dafür. "Die eigentlichen Zölle könnten noch dazu kommen: Allein für die deutschen Autoexporte drohen dann Mehrbelastungen von rund zwei Milliarden Euro im Jahr."
Anwalt Veith sagt: "Wenn es im schlimmsten Fall Grenzkontrollen gibt, kostet das jedes Mal Zeit und es werden erhebliche Zölle fällig." Die Ankündigungen, Werke zu verlagern, seien keine leere Drohung. "Kein Konzern wird direkt zum 1. April Fabriken schliessen, aber mittelfristig ist das durchaus realistisch."
Auch auf der anderen Seite des Ärmelkanals wächst die Sorge. Tausende Firmen hätten Notfallpläne für einen ungeordneten Brexit aktiviert, teilte die britische Handelskammer der Zeitung "The Guardian" mit. Viele erwägen demnach, Betriebsteile ins Ausland zu verlagern. Einige Unternehmen sind schon mit Plänen vorgeprescht.
Airbus droht mit Schliessungen
Der Luftfahrt- und Rüstungskonzern Airbus drohte mit der Schliessung von Fabriken. "Wenn es einen Brexit ohne Abkommen gibt, müssen wir bei Airbus möglicherweise sehr schädliche Entscheidungen für Grossbritannien treffen", sagte Konzern-Chef Tom Enders jüngst.
Im Vereinigten Königreich bündelt Airbus fast den gesamten Tragflächen-Bau - was beim Brexit heikel werden könnte. Zulieferer müssen Teile auf die Insel bringen, danach müssen die fertigen Tragflächen zu Werken in Frankreich, Deutschland, China und den USA.
Der japanische Elektronikkonzern Sony verlegt seinen europäischen Hauptsitz von London nach Amsterdam. Damit könne das Unternehmen seinen Geschäftsbetrieb ohne Beeinträchtigung fortsetzen, wenn Grossbritannien die EU verlasse, sagte eine Sprecherin.
Schon im August erklärte der Konzern Panasonic, den Europa-Sitz nahe London nach Amsterdam zu verlegen. Panasonic wolle so verhindern, möglicherweise von der eigenen Regierung bestraft zu werden: Sollte Grossbritannien die Unternehmenssteuer drastisch senken, könnte das Land von Japan als Steueroase eingestuft werden. Auch der freie Waren- und Personenverkehr spiele eine Rolle.
Unter Flagge Zyperns
Der Staubsaugerhersteller Dyson verlagert seine Zentrale von Grossbritannien nach Singapur. Dyson begründete das aber nicht mit dem Brexit, sondern mit der Bedeutung Asiens. Dort befänden sich eine wachsende Mehrheit seiner Kunden und alle Produktionsstandorte.
Pets at home, er grösste Tierbedarf-Händler Grossbritanniens, hat angekündigt, seine Lager etwa für Katzenfutter aufzustocken. So will das Unternehmen einem möglichen Chaos in britischen Häfen begegnen. Die Fährgesellschaft P&O will ihre Flotte für den Verkehr über den Ärmelkanal unter zyprischer Flagge anmelden. Dies bringe dem Unternehmen deutlich günstigere Steuerbedingungen, da die Schiffe dann unter der Flagge eines EU-Mitgliedslandes liefen, erklärte sie.
Der deutsche Autobauer BMW hat die jährliche Wartungsperiode für seine vier Werke in Grossbritannien auf die Zeit unmittelbar nach dem geplanten EU-Ausstieg gelegt. So will BMW verhindern, dass die Versorgungskette der Fabriken wegen Brexit-Turbulenzen unterbrochen wird. Nach der Pause soll die Produktion von Autos und Komponenten reibungslos anlaufen - wie auch immer die Lage dann aussieht.
Deutschlands grösste Bank Deutsche Bank will die Transaktionen von Grosskunden, die bisher in London betreut werden, künftig über die Frankfurter Computersysteme laufen lassen. Die Arbeiten an der neuen Infrastruktur seien fast abgeschlossen, hiess es. Andere internationale Grossbanken schicken Mitarbeiter aus London nach Frankfurt oder Paris. Denn nach dem Brexit dürfen Geldhäuser nicht mehr von Grossbritannien aus Finanzgeschäfte in der EU machen.
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