Mount Everest | Schlecht trainierte Bergsteiger sorgen für Staus – Meinrad Bittel kennt den Berg und dessen Todeszone
«Am Everest geht es viel zu oft nur ums Geld»
Am höchsten Berg der Welt staut es sich momentan ziemlich. Ein Bild wartender Bergsteiger am berüchtigten Hillary Step kurz vor dem Gipfel geht um die Welt. Everest-Besteiger Meinrad Bittel sieht Expeditionsanbieter in der Pflicht.
Meinrad Bittel, was geht Ihnen spontan durch den Kopf beim Betrachten der Fotos mit den Kolonnen von blockierten Bergsteigern am Everest?
«Als ich die ‹Staufotos› sah, sagte ich mir, dass viele dieser Bergsteiger den Gipfel nicht sehen werden. Wenn du am Everest in dieser Höhe nicht konstant aufsteigen kannst, schwindet die Chance auf ein Gipfelerlebnis auf ein Minimum.»
Wartezeiten zwingen also zur Umkehr?
«Die Zeitfenster für den Aufstieg sind kurz. Der Mensch kann sich ab einer Höhe von 7500 Metern, in der sogenannten Todeszone bei einem Drittel des Sauerstoffgehalts wie auf Meereshöhe, nur kurz aufhalten. Aufgrund des geringen Sauerstoffgehalts arbeitet der Herzkreislauf auf Hochtouren. Jeder Schritt bedeutet grösste Anstrengung.»
Was läuft im Kopf der wartenden Höhenbergsteiger ab?
«Absoluter Stress. Jene, die sich top vorbereitet haben, können nicht weitersteigen, weil ein Überholen nicht möglich ist. Für Bergsteiger mit geringer Vorbereitung bedeutet ein Stau in jedem Fall das Ende des Traums einer Everest-Besteigung.»
Gleichzeitig befinden sie sich in Lebensgefahr?
«Ganz klar. Wer aufgrund der Wartezeiten keine Sauerstoffreserven eingeplant hat und so nicht auf weitere Sauerstoffflaschen der Sherpas ausweichen kann, kann hier leicht das Leben lassen. Hilfe auf dieser Höhe ist ausgeschlossen. Jeder ist auf sich selbst gestellt. Bislang haben es nur die wenigsten Bergsteiger geschafft, ohne künstlichen Sauerstoff den Everest zu besteigen.»
Was heisst gut vorbereitet?
«Patrick Z’Brun und ich haben uns anderthalb Jahre für die Everest-Besteigung in Form gebracht, indem wir rund 250 000 Höhenmeter zu Fuss, mit dem Mountainbike oder mit Tourenski zurücklegten. Das Schlimmste, was uns hätte passieren können, wenn wir die Expedition wegen Trainingsmangel hätten abbrechen müssen.»
Bilder von Staus am Everest gehen nicht zum ersten Mal um die Welt. Dieses Jahr scheinen sich dort extrem viele Höhenbergsteiger aufzuhalten?
«Der Eindruck täuscht nicht.»
Also offensichtlich zu viele. Was läuft falsch?
«Ganz klar sind die Expeditionsanbieter gefordert. Die Besteigung des Everest ist zurzeit ein Hype unter Bergsteigern weltweit. Dabei wird vergessen, dass der Everest technisch zwar nicht der anspruchsvollste Berg ist, aber er ist der höchste Gipfel der Welt. Gleichzeitig arbeiten die Anbieter nicht mehr seriös mit möglichen Gipfelaspiranten. Wer sich anmeldet, der muss die nötigen Voraussetzungen mit sich bringen. Die Anbieter müssen wissen, was der interessierte Höhenbergsteiger bislang an Erfahrung am Berg mitbringt.»
Das tun sie nicht?
«Es geht wie so oft nur mehr ums Geld. Wer die nötigen 60 000 Dollar, die eine Besteigung in etwa kostet, auf den Tisch legt, wird in Expeditionen aufgenommen. In Begleitung von Sherpas wird diesen Members, die sich bereits ab Höhen von 6000 Metern mit neuen Sauerstoffflaschen versorgen lassen (die bei einem trainierten Bergsteiger erst ab 8000 Metern nötig werden), um jeden Preis ein Gipfelerlebnis ermöglicht.»
Das nötige Kleingeld soll also nicht einziges Kriterium für eine Aufnahme in eine Expedition sein.
«Nein. Wer nicht über die nötige Kondition und psychische Belastbarkeit verfügt, hat an diesem Berg nichts verloren. Denn letztlich kann er zur lebensbedrohlichen Gefahr für Expeditionen und Sherpas werden, weil er gut vorbereiteten Höhenbergsteigern den Weg zum Gipfel blockiert und zum Warten zwingt.»
Was sollte anders laufen?
«Als seriösen Anbieter kann ich Kari Kobler nennen. Wer sich dort für eine Everest-Expedition interessiert, füllt einen Test aus. Bei Kobler wird anschliessend auch abgeklärt, ob die Angaben den Tatsachen entsprechen. Wenn ein Bergsteiger in Alpen x Viertausender bestiegen hat, dazu bereits auf 6000ern in Nepal oder gar schon mal auf einem Achttausender stand, dann stimmen die Voraussetzungen.»
Die Regierung in Nepal könnte aber auch jährliche Kontingente für den Everest einführen.
«Nepal ist arm. Der Bergsteiger- und Trekkingtourismus stellt in abgelegenen Bergtälern oftmals die einzige Einnahmequelle für die Einheimischen dar. Für jede Everest-Besteigung fliessen etwa 8000 Dollar in die Staatskasse. Ein Sherpa verdient für eine zweimonatige Expedition etwa ebenso viel. Das ist viel Geld in Nepal. Niemand hat dort ein Interesse, dass es weniger wird. Eine Regulierung muss also über die Anbieter von Everest-Expeditionen erfolgen.»
Interview: Norbert Zengaffinen
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