Mobilität | Tiefere öV-Nutzung in der Westschweiz und ausserhalb der Zentren. Mentalität soll eine Rolle spielen
Förderung schlechterer Bedingungen für Autofahrer nicht ausgeschlossen
Der Anteil des öffentlichen Verkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen soll nach Jahren der Stagnation wieder wachsen. Der Nutzungsanteil zwischen Basel, Bern und Zürich liege bei 20 Prozent, deshalb sehen Bund und öV-Verbände Handlungsbedarf in ländlichen Gebieten wie im Wallis oder in Graubünden. Dafür zieht man auch in Betracht, die Bedingungen für Autofahrer zu verschlechtern.
Wer nutzt wann, wo und für welchen Zweck ein bestimmtes Verkehrsmittel? Am Mittwoch haben der Verband öffentlicher Verkehr (VöV), der Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr (Litra) zusammen mit dem Bundesamt für Raumentwicklung (Are) eine Studie vorgestellt, die den Modalsplit im Personenverkehr der Schweiz unter die Lupe genommen hat.
Aufgrund der Erkenntnisse aus der Studie haben Litra-Präsident Martin Candinas und VöV-Direktor Ueli Stückelberger Massnahmen skizziert, wie der öV-Anteil nach Jahren der Stagnation wieder auf Wachstumskurs gebracht werden kann. Die Studie mit dem Titel «Der Modalsplit des Personenverkehrs in der Schweiz» wurde vom Genfer Bureau de recherche 6t verfasst.
Nach einer Wachstumsphase bis 2005 stagnierte der Anteil des öffentlichen Verkehrs am gesamten Personenverkehrsaufkommen seit zehn Jahren, wie Zahlen des Bundesamts für Statistik belegen. 13 Prozent der Verkehrswege würden (Stand 2015) im öV zurückgelegt, beim motorisierten Individualverkehr (MIV) betrage der Anteil 50 Prozent. Auf zurückgelegte Kilometer übertragen beträgt der öV-Anteil laut der Studie 28 Prozent, gegenüber 65 Prozent beim MIV.
Tiefere öV-Nutzung abseits der Zentren und in der Westschweiz
Um griffige Massnahmen zur Steigerung des öV-Anteils vorschlagen zu können, legte die Studie einen speziellen Fokus auf regionale und zeitliche Unterschiede bei der öV-Nutzung. Diese sind zum Teil beträchtlich, wie die Resultate zeigen.
Wenig überraschend sei, dass öffentliche Verkehrsmittel in dicht besiedelten Agglomerationen deutlich reger genutzt würden als in periurbanen oder in ländlichen Gebieten. Hoch sei der Nutzungsanteil mit Werten von deutlich über 20 Prozent namentlich im «goldenen Dreieck» zwischen Basel, Bern und Zürich, während dieser in Graubünden, in der Zentralschweiz, im Wallis, Tessin und in der Westschweiz wesentlich tiefer liege.
Laut der Studie sind nicht nur topografische Gründe und die Angebotsqualität für diese Unterschiede verantwortlich. Eine Rolle spielten auch die Mentalität und sonstige Präferenzen der Nutzer. Dies offenbare sich beim Direktvergleich der beiden periurbanen Räume Oberes Baselbiet und Gros-de-Vaud bei Lausanne. In der Deutschschweizer Region würden öffentliche Verkehrsmittel wesentlich stärker genutzt als im französischsprachigen Pendant.
Markante Unterschiede bei der Wahl der Verkehrsmittel zeigten sich auch im zeitlichen Vergleich und bei unterschiedlichen Verwendungs-Hintergründen: So stiegen etwa viele öV-Pendler aufs Auto um, wenn sie sich, vornehmlich an den Wochenenden, in ihrer Freizeit fortbewegen.
Angriff auf öV-Konkurrenz: Nutzer von Privatautos könnten Leidtragende sein
Litra und VöV leiten aus der Studie nun Forderungen für die Erhöhung des öV-Anteils ab. Namentlich postulieren sie eine «gute Koordination von Raum- und Verkehrsplanung», wie sie an der Medienkonferenz vom Mittwoch sagten. Gefordert werden insbesondere Ausbaumassnahmen ausserhalb der grossen Agglomerationen, auf die sich die Verkehrspolitik heute fokussiere.
Wichtig sei des weitern, die Stellung des öffentlichen Verkehrs in der Freizeitmobilität zu stärken. Hier sei neben den öV-Betrieben nicht zuletzt auch die Tourismusbranche gefordert, so die öV-Verbände.
Unter dem Strich wollen Litra und VöV, dass der öV-Anteil die Ziele der Verkehrsperspektiven des Bundes bis 2040 übertrifft. Dieses Grundszenario geht von einem Wachstum des öV-Anteils auf 23 Prozent aus. Um dieses Ziel zu übertreffen, sollten laut Studie auch eine «Verschlechterung der Bedingungen des konkurrenzierenden Verkehrsmittels», also des Privatautos, in Betracht gezogen werden.
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