Gesundheit | Kampagne "Wie geht's Dir?" soll Gegensteuer geben
Schweigen über psychische Erkrankungen macht krank
Wer in einem emotionalen Tief steckt, befürchtet, dass er als schwach und nicht leistungsfähig gilt: Unter anderem deshalb wird in der Schweiz kaum offen über psychische Erkrankungen gesprochen. Die Stiftung Pro Mente Sana und die Deutschschweizer Kantone wollen mit einer Neulancierung ihrer bewährten Kampagne "Wie geht's Dir?" Gegensteuer geben.
Pro Mente Sana hat das "psychische Stimmungsbild der Schweiz" erfasst: Gemäss einer Studie gaben 20 Prozent der Befragten an, "sich gegenwärtig in einem längerdauernden emotionalen Tief zu befinden". Zwei Drittel haben zumindest früher Phasen erlebt, in denen es ihnen über längere Zeit nicht gut gegangen war.
Keine Ächtung - subtile Ängste
Für Betroffene ist es besonders wichtig, dass ihnen jemand zuhört und sie ernst nimmt, wie Pro Mente Sana am Mittwoch am internationalen Tag der psychischen Gesundheit an einer Medienkonferenz in Zürich bekannt gab. "Zugleich fürchtet sich jedoch eine überwiegende Mehrheit (70 Prozent) vor negativen Reaktionen, wenn ihr Umfeld erfahren würde, dass es ihnen psychisch nicht gut geht."
Diese Personen befürchteten dabei keine eigentliche gesellschaftliche Ächtung - es verblieben aber subtile Ängste, in der Leistungsgesellschaft für nicht voll genommen zu werden. Je über 40 Prozent befürchten, als nicht leistungsfähig eingeschätzt zu werden sowie als labil und schwach zu gelten.
Psychische Erkrankungen sind deshalb ein Tabuthema: 60 Prozent der Befragten gaben an, dass darüber kaum jemand offen spreche, nur 3 Prozent stuften dies als Thema ein, über das in der Schweiz offen geredet werde. Bloss das Thema Einkommen (65 Prozent Tabu, 4 Prozent Offenheit) wird hierzulande noch etwas verschwiegener behandelt.
Die Leistungsgesellschaft stresst
Das Auseinanderdriften von Wunsch (Reden und Zuhören) und Realität (Schweigen) zeigt sich auch darin, dass gemäss Studie 90 Prozent der Befragen weitere Anstrengungen fordern, "damit offener über psychischen Krankheiten gesprochen wird".
Psychische Krankheiten sollten enttabuisiert werden (57 Prozent), und das Wissen über sie soll vergrössert werden (51 Prozent), fordern die Befragten. 42 Prozent verlangen eine Diskussion über die Leistungsgesellschaft.
Denn Stress und Überlastung - meist bei der Arbeit - sind die am häufigsten genannten Faktoren, die sich negativ auf die psychische Grundstimmung auswirken. "Der Leistungsdruck führt nicht nur zur psychischen Belastung, sondern er behindert zugleich das offene Sprechen darüber, weil sich viele davor fürchten, als nicht leistungsfähig zu gelten." Solche Zusammenhänge liessen sich thematisieren, heisst es in der Studie.
Den Einfluss der Arbeit auf das "psychische Stimmungsbild der Schweiz" zeigt sich in der Studie auch andernorts: So führen etwa Ferien dazu, dass sich fast drei Viertel der Schweizer "eher besser" fühlen (an Sonntagen sind es immerhin 30 Prozent der Befragten). Und die Studie zeigt auch: "Pensionierte sind die Zufriedensten überhaupt."
Kampagne neu lanciert
In der Pflicht stehen deshalb unter anderem die Arbeitgeber: 50 Prozent der Befragten verlangten, dass sich diese dafür einsetzen, dass leichter über psychische Beschwerden gesprochen werden kann. Auch Medien (37 Prozent), Organisationen wie Pro Mente Sana (32 Prozent), Persönlichkeiten (27 Prozent), Politik (23 Prozent) und Arbeitgeberorganisationen (23 Prozent) wurden genannt.
Die Stiftung Pro Mente Sana lanciert ihre vor vier Jahren gestartete Kampagne "Wie geht's Dir?" deshalb neu. Die Kampagne, die sie gemeinsam mit den Deutschschweizer Kantonen im Auftrag von Gesundheitsförderung Schweiz trägt, soll mit der der Botschaft "Die Schweiz redet über alles" die Bevölkerung sensibilisieren.
In der lateinischen Schweiz kommt derweil eine Kampagne zum Einsatz, die auf der bestehenden Informationsplattform "santepsy.ch" basiert, wie Gesundheitsförderung Schweiz in einer Mitteilung vom Mittwoch schreibt.
Die Studie hat die Forschungsstelle Sotomo im Auftrag von Pro Mente Sana verfasst. Sie basiert auf einer im September erfolgten Online-Befragung von 5539 Personen aus der Deutschschweiz und der Romandie.
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