Tierwelt | Verändertes Zugverhalten
Schweizer Störche ziehen im Winter weniger weit nach Süden
Über 1000 Störche leben in der Schweiz, so viele wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ein Grund dafür ist, dass die Vögel, die vor rund 70 Jahren als ausgestorben galten, die gefährliche und strapaziöse Reise gen Süden gar nicht mehr machen oder weniger weit fliegen.
Vogelkundler nennen das flexibles Zugverhalten. Störche sind Zugvögel, und in der Schule hat mancher gelernt, dass sie den Winter südlich der Sahelzone in Afrika verbringen.
Dem heutigen Leben eines Schweizer Storchs entspricht das aber nur selten: Die meisten hiesigen Störche fliegen nur noch bis Spanien oder auch überhaupt nicht mehr in den Süden.
"In Spanien finden sie in offenen Abfalldeponien Futter", sagt Peter Enggist, Geschäftsführer von Storch Schweiz. "Oder sie bleiben in der Schweiz, weil sie wissen, dass sie hier auch im Winter genügend Nahrung finden." Storch Schweiz hat nachzählen lassen: Rund 360 Störche haben im vergangenen Winter die Schweiz nicht verlassen.
Darunter waren sogar Tiere, deren Ringnummern auch schon in Spanien erfasst worden waren. Weshalb sie sich nicht mehr auf die Reise machten, darüber soll ein Forschungsprojekt Aufschluss geben.
Frage für die Wissenschaft
Enggists persönliche und nicht belegte Hypothese zum verkürzten Vogelzug ist die im Storch genetisch programmierte Zugdistanz. Die Vorfahren der ab 1948 von "Storchenvater" Max Bloesch in der Schweiz wieder angesiedelten Störche stammten aus Algerien.
Von dort sei der Weg nach Zentralafrika ähnlich weit wie zwischen der Schweiz und Spanien, führt Enggist aus. Zunächst habe die Wissenschaft diese These belächelt, sagt er. Mittlerweile befasse auch sie sich damit.
Den kürzeren Zug oder gar keinen Zug gibt es nur bei Störchen aus der Westpopulation - zu ihnen gehören die Schweizer Störche. Vögel der Ostpopulation fliegen im Herbst wie eh und je über Griechenland, die Türkei und den Nahen Osten nach Afrika - eben wie es in den Schulbüchern steht.
Frage des Heimvorteils
Storch Schweiz und die Schweizerische Vogelwarte Sempach haben festgestellt, dass vor allem Altvögel nicht gen Süden ziehen. "Sie sind erfahrener und finden auch bei harschen Winterbedingungen eher Nahrung als die unerfahreneren Jungvögel", sagt Livio Rey von der Vogelwarte.
Störche, die hierzulande überwintern, könnten auch einen Heimvorteil nutzen wollen. Störche sind vor allem ihrem angestammten Horst treu und nicht unbedingt dem Partner oder der Partnerin. "Da kann es von Vorteil sein, schon früh wieder am Brutplatz zu erscheinen", sagt Rey. Jungvögeln, die noch nicht brüteten, bringe eine frühere Rückkehr keine Vorteile.
Die Fachleute raten davon ab, überwinternde Störche zu füttern. Liege kein Schnee und sei der Boden nicht zu stark gefroren, fänden sie genügend Nahrung, etwa Mäuse, sagt Rey. Enggist sieht Störche darüber hinaus "besser zwäg" für das Brutgeschäft, wenn sie "vitaler und abgespeckter" sind.
Gefahren für Störche
In der Schweiz leben - im Sommer - mittlerweile über 1000 Störche. Vergangenes Jahr zählte Storch Schweiz 470 Horst-Paare und 757 Jungvögel von 370 Brutpaaren. Das ist weit mehr als der Aktionsplan Weissstorch von Bund, Storch Schweiz, Vogelwarte und BirdLife Schweiz bis 2024 als Ziel setzt.
Erledigt ist die Arbeit von Storch Schweiz dennoch nicht. Noch braucht es Anstrengungen für einen Lebensraum, in dem Störche Plätze zum Brüten und Nahrung finden, beispielsweise revitalisierte Feuchtgebiete und extensivere Landwirtschaftsgebiete.
Eine tödliche Gefahr für die Vögel sind auch die für Storchenaugen nicht sichtbaren Leitungsdrähte, Stromschläge an Strommasten und neuerdings Windräder - auch die drehenden Rotorblätter sehen Störche nicht. In der Roten Liste werden sie als "gefährdet" geführt.
Die so beliebten Störche können aber auch lästig werden - auch da hilft Storch Schweiz. Nicht auf allen Kaminen oder Dächern seien sie erwünscht, etwa wegen ihrer Hinterlassenschaften, sagt Enggist dazu.
Er ist bei Storch Schweiz der Nachfolger von "Storchenvater" Bloesch. "Das Engagement für die Störche lässt einen nicht mehr los", sagt er. "Jeder Storch hat seinen Charakter und man erkennt ihn an seinem Verhalten, zum Beispiel gegenüber seinem Partner oder seiner Partnerin."
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