Soziales | Im Anschluss an häusliche Gewalt soll auch dem Täter geholfen werden

Die Stille nach der Gewalt füllen

Gewaltberater. Michael Schnidrig (links) und Christian Bayard wollen Täter verstehen und ihr Verhalten ändern.Foto WB/Andrea Soltermann
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Gewaltberater. Michael Schnidrig (links) und Christian Bayard wollen Täter verstehen und ihr Verhalten ändern.Foto WB/Andrea Soltermann
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Quelle: 1815.ch 20.09.18 0
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Wallis | Häusliche Gewalt kann vieles zerstören. Opfer und deren Kinder tragen Traumata davon. Täter stehen oftmals alleine da. Seit Anfang 2017 gibt es im Oberwallis auch Hilfe für die Täter. Wie die aussieht, erzählen Gewaltberater und ein gewalttätiger Mann.

Mathias Gottet

Pascal sass mit Freunden an der Bar, trank Bier, als plötzlich seine Welt zusammenbrach: Seine Ehefrau betrügt ihn. Seit Längerem hat sie einen Freund. Pascal hastet stark alkoholisiert nach Hause, seine Gefühle hat er längst nicht mehr unter Kontrolle. Er reisst seine Frau aus dem Bett, schreit sie an, drückt sie gegen die Wand und schlägt zu. Zum ersten Mal, sagt er.

Dann verlässt er die Wohnung, seine Frau ruft die Polizei. Als er zurückkommt, ist er erleichtert, dass die Polizisten die Situation übernommen haben. Sie brachten Ruhe und hatten klare Anweisungen: Der Täter muss seine Koffer packen und für 14 Tage sein Zuhause verlassen. Während ­dieser Zeit darf er keinen Kontakt zu seiner Frau haben.

Er zieht zu einem Freund. Am nächsten Tag muss er auf dem Polizeiposten erscheinen. Hier wird er an den Pranger gestellt: «Ich bin sehr erniedrigend behandelt worden», sagt ­Pascal.

Verhalten verändern

«Es ist wichtig, dass jegliche Gewalt in der ersten Reaktion verurteilt wird, so will es auch die Gesellschaft», sagt Christian Bayard. Er und sein Kollege Michael Schnidrig arbeiten seit einem Jahr als Gewaltberater. Die beiden Sozialarbeiter, die sonst in den Oberwalliser Schulen tätig sind, versuchen, die Täter von häuslicher Gewalt zu verstehen, sie aufzubauen und ihr Verhalten zu verändern. «Wir müssen den Tätern Mut geben, dass Veränderung möglich ist», sagt Bayard. «Das ist aber harte Arbeit.»

Seit dem 1. Januar 2017 ist es im Wallis Pflicht, dass nach einer Wegweisung bei häuslicher Gewalt der Täter an einem Beratungsgespräch teilnehmen muss. Innerhalb von drei Tagen muss sich dieser für die ­Beratung anmelden. Und landet dann im Sitzungszimmer mit Michael Schnidrig oder Christian Bayard. Wo genau das Büro liegt, wollen die ­beiden Gewaltberater nicht sagen. Der Hauseingang ist anonym, dennoch zentral gelegen.

«Wir verurteilen die Tat, aber niemals den Menschen»

Wenn die Täter hier ankommen, sind sie oftmals in einer tiefen Krise. Sie lieben ihre Partnerin. Haben sie aber körperlich angegriffen. Und damit auch das Vertrauen in der Beziehung zertrümmert. Deshalb sei das Gespräch mit dem Täter nach einer Wegweisung so wichtig: «Sie sind sehr empfänglich, um eine Veränderung zuzulassen», sagt Schnidrig. Und in den meisten Fällen sind die Gewaltberater die ersten Personen, die mit ihnen über die Tat sprechen.

Bisher nur Männer

Im vergangenen Jahr nahmen zwölf Personen das Angebot an. Keine besonders hohe Zahl, vor allem wenn man bedenkt, dass die Oberwalliser Opferhilfe im Jahr 2017 über 200 Beratungen durchgeführt hat. Indes gehen bei der Polizei immer mehr ­Fälle von häuslicher Gewalt ein. ­Waren es im Jahr 2009 noch 587 Fälle von häuslicher Gewalt im Wallis, lag die Zahl im Jahr 2017 mit 913 Fällen bereits fast doppelt so hoch.

Die Täterhilfe ist aber ein neues Angebot und muss zunächst von den verschiedenen Behörden verstanden werden. Bisher seien vor allem Meldungen von der Polizei einge­gangen. «Aber die KESB und die Staatsanwaltschaft können den Tätern eine Beratung verfügen», sagt Bayard.

Was zudem auffällt: Das Angebot der Täterhilfe haben bisher nur ­Männer beansprucht und keine einzige Frau. Das hänge damit zusammen, dass Frauen in den meisten ­Fällen immer noch Opfer und nicht Täter sind. Die beiden Experten ­schätzen, dass in mindestens vier von fünf Fällen die Frauen Opfer von ­häuslicher Gewalt sind.

Täter aus allen Schichten

Pascal erzählt seinem Gewaltberater Christian Bayard, dass er mit der Situation total überfordert gewesen sei. Er habe seine Frau vorher nie tätlich ­angegriffen. Und dass er seine Frau nicht geschlagen hätte, wenn er nicht so viel Alkohol getrunken hätte.

In vielen Fällen handeln die Täter bei häuslicher Gewalt im Affekt. «Aus dem Nichts wird man nicht gewalttätig, es hat immer eine Vorgeschichte», sagt Bayard. «Trotzdem kann fast jeder zum Täter werden.» Sein Kollege Schnidrig ergänzt: «Jedes Klischee bei häuslicher Gewalt greift zu kurz. Häusliche Gewalt kommt überall vor, in allen sozialen Schichten. Alkohol ist dabei oftmals ein Brandbeschleu­niger, aber es gibt auch Paare, die sich gegenseitig in die Haare geraten, die überhaupt keinen Alkohol trinken.»

In der Beratung wird stets betont, dass häusliche Gewalt nicht akzeptiert wird. Trotzdem müssen die ­Gewaltberater die Täter verstehen. «Wir verurteilen die Tat, aber niemals den Menschen», sagt Bayard. Vielleicht haben die Täter in der Kindheit selber Gewalt erfahren und gelernt, dass es ein Mittel sein kann, um seinen ­Willen durchzusetzen.

Die Beratungen sind auch für die beiden Gewaltberater nicht immer einfach. Da müsse man stets auch auf seine «Psychohygiene» achten, sagen sie. Der professionelle Filter helfe aber, alles mit einer gewissen Distanz zu sehen. Trotzdem ist das Menschsein und die Empathie sehr wichtig. «Sonst nimmt das Gegenüber einen nicht als Menschen, sondern als Beamten wahr», sagt Schnidrig.

Das eigene Verhalten zu verändern, ist aber keine einfache Aufgabe. «Jeder Mensch ist hochindividuell. Deshalb versuchen wir, den Betroffenen direkt abzuholen», sagt Schnidrig. Konkret heisst das, Massnahmen für den Alltag zu finden, gewisse Situationen zu vermeiden, Sorge zu sich selber zu tragen und Verhaltensstrategien zu entwickeln. Besonders in Krisen­situationen.

«Jedes Klischee greift zu kurz. ­Häusliche Gewalt kommt in ­allen sozialen Schichten vor»

Michael Schnidrig, Gewaltberater

Den Körper verstehen

In dem Sturm der Gefühle hätte Pascal niemals nach Hause rennen dürfen. «In diesem Moment eine Lösung zu finden, ist unmöglich», sagt Bayard. «Zu einem gewissen Zeitpunkt kann man in einem Konflikt noch reagieren. Verpasst man diesen Zeitpunkt, dreht sich die Gewaltspirale weiter, und der Konflikt eskaliert», sagt Schnid­rig. Deshalb gelte es, auf körperliche Symptome zu achten. Und diese sind vielfältig: Die Hitze steigt im Körper auf, die Gedanken im Kopf drehen sich im Kreis, die Hände schwitzen oder verkrampfen sich. Spüre man diese Signale, müsse man handeln. «Dem Partner Raum lassen und den Kopf lüften ist der Klassiker», sagt Bayard.

Im Anschluss an die Tat ging nicht nur Pascal in die Beratung. Auch seine Ehefrau und die Kinder nahmen psychologische Hilfe in Anspruch. «Viele Leute denken, dass die Kinder davon nichts mitbekommen. Kinder reagieren aber auf Gewalt hochsensibel», sagt Bayard. Da die Eltern eine wichtige Vorbildfunktion einnehmen, müssen sie den Kindern die Situation erklären und sagen, dass sie falsch ­gehandelt haben.

Diese Vorbildfunktion hapere oftmals bei den Elternteilen, die übermässig hart arbeiten. «Nach zwölf Stunden Arbeit kommen sie nach Hause, sind kaputt, entfremden sich vom Familienleben. Und am Wochenende sind sie dann die Supereltern», sagt Bayard. Für die Sozialisierung der Kinder sei dies nicht gut.

Geschlechterrollen auflockern

Für Pascal war es ein grosser Vorteil, dass er sehr offen über seine Tat reden konnte. Nur dann funktioniert die Beratung. Die beiden Gewaltberater hätten mehr Gegenwehr der Männer erwartet. Aber die Mehrheit der Täter hätte sich auf längerfristige Beratungen eingelassen und zeigt, dass sie an sich arbeiten will.

Hier sehen die Gewaltberater einen Lichtblick. Sie sind sich sicher, dass die jüngere Generation besser ­damit umgehen können wird. Dies, weil sich die Geschlechterrollen weiter auflockern werden: Männer ­lernen, über ihre Gefühle zu reden, und die Rolle des Vaters verändert sich durch Teilzeitarbeit.

Das Umfeld reagierte bei Pascal ebenfalls fair. Seine Tat wurde verurteilt, aber nicht er als Person. «Das Private gewinnt immer mehr an Bedeutung. Häusliche Gewalt ist aber keine Privatsache. Deshalb ist es wichtig, dass sie von Amtes wegen verfolgt wird», sagt Schnidrig.

Von aussen herrscht oftmals die Meinung: Wieso trennt sich das Paar nicht endlich? «Gewalt ist zwar ­zerstörerisch, Gewalt ist aber auch Energie», sagt Bayard. Der Streit gehöre zu einer Beziehung dazu. Und zeigt gleichzeitig, dass sich das Paar noch nicht aufgeben will. Die Grenze der Gewalt dürfe aber nicht überschritten werden.

«Ich bin heute besser gewappnet, wie ich mit Konfliktsituationen umgehen kann», sagt Pascal nach mehreren Beratungen. «Ich gehe ehrlicher mit mir selber um. Man muss seine Anliegen ansprechen, bevor der Druck so hoch ist und man explodiert.» Er lebt heute zwar getrennt von seiner Frau. Doch er will lernen, wie er in kommenden Beziehungen, mit seinen Kindern und mit seiner Ex-Frau ­umgehen will. Ohne Gewalt. Und er zeigt sich optimistisch: «Ich bin mir sicher, dass ich in Zukunft nicht ­wieder zuschlage.»

Häusliche Gewalt – was tun?

Die Täterhilfe Oberwallis ist an der Berner Interventionsstelle für häusliche Gewalt angehängt. Personen, die die Kontrolle über die Situation in den eigenen vier Wänden verlieren, können sich unter der Nummer 079 308 84 05 melden. Die Berner Inter­ventionsstelle vermittelt dann die Gewaltberater aus dem ­Oberwallis.

Opfer einer Straftat wenden sich an die Opferhilfeberatung – persönlich oder über eine Vertrauensperson. Ein Anruf bei der Opferhilfeberatung ist kostenlos und zieht keine direkten ­Konsequenzen nach sich. Opferhilfeberatung Oberwallis: 027 946 85 32.

Aussenstehende fordern bei akuter Gefahr Hilfe über eine ­Notfallnummer an.

Mathias Gottet
20. September 2018, 02:00
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