Interview | Tobias Carshey über seinen Bezug zur Semikolon-Bewegung

«Sie schleichen sich immer noch an»

Melancholisch. Singer-Songwriter Tobias Carshey mag tieftraurige Musik.
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Melancholisch. Singer-Songwriter Tobias Carshey mag tieftraurige Musik.
Foto: WB/Andrea Soltermann

Quelle: 1815.ch /map 18.08.18 0
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Tobias Carshey ist ein Mann der oft leiseren, ruhigeren Töne und leichten Melodien. Die Songs des 34-jährigen Zürchers allerdings strotzen vor melancholischen Themen und tiefgründigen Inhalten. Leicht, ja, aber mit immens wichtiger Botschaft.

Tobias Carshey, um darauf anzuspielen, dass es Krankheiten gibt, die nicht direkt sichtbar sind, hast du deinen Auftritt im Spitalnachthemd über die Bühne gebracht. Ich war sehr gespannt, ob du damit auch zum Interview erscheinst…

«Ich habe mir das tatsächlich überlegt, mich dann aber dagegen entschieden. Die Sache ist, dass ich das Nachthemd schon während der ganzen Festivalsaison trage und es nie gewaschen habe. Auf der Bühne geht das, aber ich möchte es keinem anderen antun.» (lacht)

Mit deinem Album «Semicolon» spielst du auf den gleichnamigen Tattoo-Trend an. Welche Bedeutung hat diese Bewegung für dich?

«Meine Frau litt jahrelang unter sehr starken Depressionen. Mich hat es dann ebenfalls erwischt, wenn auch nicht so heftig. Übers Internet habe ich diese Tattoo-Bewegung, die in den Staaten ihren Anfang genommen hat, vor Jahren entdeckt. Menschen, die einen Suizidversuch überlebt haben, lassen sich ein Semikolon stechen, um sich daran zu erinnern, dass das Leben weitergeht – Strichpunkt, der Satz ist noch nicht beendet. Immer mehr Leute haben sich mit dieser Bewegung sozialisiert. Die Idee ist mittlerweile, dass man Gespräche darüber anregt, Tabus abbaut.»

Wie haben sich die Folgen der Depression bei dir gezeigt?

«Man denkt ja immer, es hätte etwas mit Traurigkeit zu tun. Ich war in erster Linie völlig leer. Ich habe meinen Körper nicht mehr gespürt. Schon am Morgen aufstehen war unglaublich schwierig und fühlte sich an, wie einen Marathon zu laufen. Das war der Punkt, an dem mir klar wurde, dass ich etwas unternehmen muss.»

Was war das?

«Ich habe eine Therapie gemacht. Kurz habe ich es auch mit Antidepressiva versucht, sie aber höchstwahrscheinlich zu früh abgesetzt, um Erfolge vermerken zu können. Der einzige Effekt war, dass ich an Gewicht zugelegt habe. Bei meiner Frau habe ich aber gesehen, dass Medikamente wirklich helfen können.»

Hast du immer noch mit Depressionen zu kämpfen?

«Sie sitzen mir immer noch im Nacken. Wenn ich schlecht schlafe oder ein Bier zu viel trinke, schleichen sie sich an. Oft spüre ich das zwar im Vorfeld, aber ab und zu legt es mich dann doch flach. Durch Meditation, Yoga und Therapien habe ich gelernt, damit umzugehen. Wenn ich auf mich aufpasse, ist es kein Problem.»

Was möchtest du Leidensgenossen mit auf den Weg geben?

«Sucht euch ein Umfeld, das damit umgehen kann. Lange Zeit hatte ich die falschen Leute um mich herum. Seit ich klar Schiff gemacht habe in meinem Leben, geht es mir besser.»

Du hast keine Hemmungen, über deine Krankheit zu sprechen. Besteht nicht die Gefahr, dass du auf diese Problematik reduziert wirst?

«Definitiv. Deshalb versuche ich nun auch, ein wenig damit zu brechen. Angst davor, in diese Schablone gepresst zu werden, hatte ich jedoch nicht. Dafür war der Aufschrei nicht gross genug. Ich kann mich jederzeit neu erfinden.»

Inwiefern hilft dir die Musik, mit deinen Depressionen umzugehen?

«Die Musik ist für mich inzwischen fast zu einer Sucht geworden. Wenn ich längere Pausen einlege, fehlt mir etwas und es geht mir schlechter. Ich brauche das Musizieren, und es ist ein Riesenprivileg, dass ich mich auf diese Art und Weise ausdrücken kann.»

Deine Songs wirken sehr leicht und melodiös, die Themen haben es aber in sich. Zeichnen sie sich gerade durch dieses Wechselspiel zwischen Humor und Traurigkeit aus?

«Ganz genau! Es freut mich zu hören, dass dies auch so rüberkommt. Ich will nicht nur eine Schiene fahren, obwohl ich ein absoluter Fan trauriger Musik bin. Ich ­finde es megacool, vor allem live, dieses Wechselspiel zu zelebrieren.»

Würdest du dir manchmal einen ernsthafteren Rahmen für deine Anliegen wünschen?

«Beim Soundcheck haben ein paar besoffene Typen vor der Bühne herumgegrölt. Da habe ich mir schon überlegt, ob diese Themen an einem Festival Platz haben. Wenn ich mich jedoch nicht beirren lasse und einfach mache, funktioniert es meist ziemlich gut.»

Es heisst, dass du gerne auch mal dreckige Witze auf der Bühne ­erzählst. Hast du dich heute ein ­wenig zurückgehalten?

«Tatsächlich. An intimeren Konzerten bin ich meistens ein wenig derber. Auf grossen Bühnen halte ich mich im Moment noch zurück, ich muss mich erst noch damit anfreunden. Ich finds aber schon geil: Der Moment, wenn man einen dreckigen Witz erzählt und das Publikum ein wenig irritiert reagiert, ist so witzig. In dieser Hinsicht bin ich ein Kindskopf.»

Im Oktober 2017 wurdest du zum SRF 3-Best-Talent gekürt. War das ein Karrieresprungbrett?

«Diese Auszeichnung hat mir einen wichtigen Push gegeben. Ich glaube nicht, dass ich sonst die Möglichkeit gehabt hätte, in Gampel zu spielen.»

Trotzdem verdienst du die Hälfte deines Auskommens als Gesang- und Gitarrenlehrer. Weil es nötig ist oder weil es dir Spass macht?

«Beides. Unterricht zu geben ist ein guter Ausgleich und ein schöner Job. Natürlich würde ich gerne vom Live-Spielen leben. Im Moment muss ich es aber auf diese Art ausgleichen und das ist in Ordnung.»

Deine Bühnendekoration ist sehr spärlich gehalten. Ist das Absicht?

«Ja und nein, es ist eher eine finanzielle Geschichte. Ich würde gerne mit einem Lichttechniker zusammenarbeiten, aber dafür reicht unser Budget nicht aus. Lieber bezahle ich meine Musiker dafür ein wenig besser.»

Wie geht dein Tag jetzt weiter?

«Leider bin ich gesundheitlich nicht ganz auf dem Damm. Deshalb werde ich im Backstage-Bereich nun viele Raclettes ­essen.»

Welchen Eindruck macht das Open Air Gampel auf dich?

«Das Publikum ist unglaublich aufgeschlossen. Megaherzig fand ich es, als die Zuhörer Choreografien getanzt haben. Auch von der Organisation her ist alles sehr entspannt, man hat auch als kleine unbekannte Band nicht das Gefühl, dass man kuschen muss. Locker, gemütlich; Wallis halt. Unser Drummer hat sich vor dem Konzert schon ein wenig auf dem ­Gelände umgeschaut; er ist eine echte ­Festival-Nudel. Manchmal habe ich ein wenig Angst, dass er bereits verkatert ist, wenn wir spielen. Heute war er zum Glück brav.»

18. August 2018, 14:41
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