Zauberei | In 52 Wochen durch 26 Kantone
Mit dem Schredder im Staatsarchiv
Auf der 14. Etappe meiner Tour durch alle 26 Schweizer Kantone habe ich mit einem Schredder bewaffnet das Staatsarchiv des Kantons Obwalden betreten.
Staatsarchive meiden Zauberer in der Regel. Aber auch andere,weniger verdächtigeBerufsgruppen haben meist nur unter strengster Aufsicht Zugang zu den historischen Dokumenten, die in säurebeständigen Kartons ihr Dasein fristen. Als ich das Staatsarchiv kurz nach 14.00 Uhr betrat, wurde ich vom Chef höchstpersönlich über die Dos and Don’ts im Archiv informiert. Nicht ganz unerwartet gehörte das Vernichten und Verschwindenlassen von Akten nicht zu den To-dos. Zu meinem Glück wusste Herr Baumgartner zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, dass die Archivstücke in ihrer Existenz bedroht waren.
Brief aus dem Jahr 1821 stand auf dem Spiel
Als sich nach 17.00 Uhr alle Archivmitarbeiter versammelt hatten, um aufmerksam meiner Magie zu folgen, hatte ich bereits klammheimlich einen Brief aus dem Jahre 1821 in einen von fünf identischen Umschlägen gesteckt. Als ich den Archivaren eröffnete, dass sie gleich vier der fünf Umschläge schreddern müssen und somit diese endgültig zerstören werden, muss es ihnen kalt den Rü- cken runtergelaufen sein. Der heiklen Aufgabe zum Trotz übernahm eine erfahrene Mitarbeiterin die Verantwortung. Nach kurzem Zögern entschied sie sich für den ersten Umschlag und fütterte damit den gierigen Aktenvernichter, der den Umschlag erbarmungslos in alle Einzelteile zerlegte. Umso glücklicher war die Archivarin, als sie feststellte, dass der Umschlag tatsächlich leer war.
Die Reihe war nun an einer jungen Frau, die sich neben ihrem Studium mit dem Archivieren von Obwaldner Unterlagen beschäftigt. Auch sie entschied sich für einen Umschlag und schickte diesen durch den Schredder ins endgültige Verderben. Auch sie hatte Glück. Die Reihe war nun an einem jungen, aber dennoch erfahrenen Mitarbeiter, der all seine archivarische Intuition nutzte, um einen weiteren Umschlag zu zerstückeln. Und siehe da: Auch er lag goldrichtig.
Endlich Heimspiel im Wallis
Von fünf Umschlägen waren alsonurnochzweiübrig. Der eine Umschlag war leer, der andere enthielt den historischen Brief und die Reihe war nun am Chef höchstpersönlich. Zu meinem Erstaunen entschied sich dieser ohne zu zögern zielgenau für einen der Umschläge. Um den Chef-Archivaren zu retten – oder vielleicht doch nur, um ihn zu verwirren – fragte ich ihn, ob er seinen Entscheid nicht nochmals überdenken wolle. Er überlegte kurz, blieb dann aber bei seiner ersten Wahl und liess den Umschlag durch den gierigen Aktenvernichter laufen. Übrig geblieben war also bloss ein einziger Umschlag. Das Kuvert, in dem sich der historische Brief aus dem Jahre 1821 befand. Glücklich über die Tatsache, dass die Geschichte des Kantons Obwalden nicht durch den Schredder gelassen worden war, verliess ich das Staatsarchiv wieder. Mit einem feinen Schmelzkäse unter dem Arm, der natürlich wesentlich jünger war als der besagte Brief.
Auf meiner nächsten Etappe zaubere ich nun endlich im Wallis. Dem Staatsarchiv in Obwalden folgt ein privater Bunker in Bürchen. In der Hoffnung, dass die magischen Wellen die dicken Wände durchdringen werden, verbleibe ich mit zauberhaften Grüssen. Lionel Dellbe
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