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«Das Kräfteverhältnis zwischen den Parteien wird sich kaum verändern»

Georg Lutz
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Georg Lutz ist Projektleiter der Wahlstudie «Selects» am Schweizer Kompetenzzentrum für Sozialwissenschaften (FORS) sowie Professor für Politikwissenschaften an der Universität Lausanne. Er spricht über Trends in den kommenden Wahlen.

Herr Lutz, wer gewinnt die Wahlen 2015?
(Lacht) Laut den Umfragen wird sich das Kräfteverhältnis zwischen den Parteien kaum gross verändern. Ich sehe primär einmal Stabilität.

Welche kleinen Veränderungen werden prognostiziert?
Es gibt wenig Anzeichen dafür, dass sich Veränderungen ergeben, die grösser als 2 bis 3 Prozent sind. Jetzt muss man aber wissen, dass Umfragen gewöhnlich einen Streubereich von mindestens 2 bis 3 Prozent aufweisen. Deshalb ist es zurzeit sehr schwer, irgendwelche Aussagen über Gewinner und Verlierer zu machen.

Nicht eine einzige Tendenz?
Ich glaube, dass die Grünliberalen und die BDP, die beiden Gewinner der Wahlen 2011, diesmal kaum werden zulegen können. Sie können zufrieden sein, wenn sie ihre 10 Prozent halten werden.

Welchen Einfluss haben bestimmte Themen auf den Wahlerfolg?

Was für Themen und Probleme die Leute besonders beschäftigen, ist für den Wahlerfolg einer Partei mindestens ebenso wichtig, wie die Positionierung der Parteien auf den verschiedenen Themen. Ein Beispiel: Wenn viele Menschen sich um die Umwelt sorgen, dann ist das für grüne Parteien am vorteilhaftesten, weil sie am ehesten als jene Parteien wahrgenommen werden, die Umweltprobleme lösen können. Parteien haben aber einen wesentlichen Anteil daran, in der Bevölkerung ein Problembewusstsein zu wecken. Sie kämpfen vehement dafür, im Wahlkampf eigene Themen zu setzen.

Zurzeit ist die Flüchtlingsthematik in aller Munde. Welche Parteien werden in den Wahlen davon profitieren?
Es gibt zwei polarisierende Lager: Auf der einen Seite haben die Flüchtlinge eine grosse Solidaritätswelle ausgelöst, andererseits gibt es Stimmen, die vor einem Asylchaos warnen. In der öffentlichen Debatte hat einmal das eine Lager, dann wieder das andere die Oberhand. Auf die Wahlen bezogen, glaube ich aber nicht, dass diese Ereignisse allzu grosse Auswirkungen haben werden. Diese gäbe es nur, wenn viele Leute ihre Einstellungen verändern würden und dementsprechend dann für eine andere Partei stimmen werden. Aber die Lager sind klar identifiziert: Die Anhänger der Linken haben schon vor der gros­sen aktuellen Krise gesagt, die Schweiz müsse sich im Flüchtlingswesen stärker engagieren, während die SVP-nahen Kreise immer schon vor Missbräuchen im Asylwesen gewarnt haben. Die beiden Lager heben sich gegenseitig auf. Es kann sein, dass die aktuellen Ereignisse sowohl den Linken als auch den Rechten etwas helfen, während die lavierenden Mitteparteien mehr Probleme bekommen werden. Was ich aber definitiv nicht sagen kann, sind die prozentualen Auswirkungen.

«Umfragen weisen einen Streubereich von zwei bis drei Prozent auf»

Nach welchen Faktoren entscheidet ein Wähler?
Der politische Prozess funktioniert nicht als Einbahnstrasse. Politische Positionen hat man nicht unabhängig von den Parteien. Denken Sie etwa an eine kantonale Vorlage, über die abzustimmen ist. Da ist es für den gewöhnlichen Bürger nicht immer einfach, ganz durchzublicken. Er informiert sich, wie die verschiedenen Parteien über die Vorlage denken und schliesst sich den Argumenten jener Partei an, die ihm sympathisch ist. Der politische Prozess läuft in beide Richtungen ab.

Gibt es noch viele treue Stammwähler?
Eine Gruppe von Leuten wählt sehr traditionell. Immer noch wählen über 50 Prozent so, wie schon ihre Eltern gewählt haben. Das hat damit zu tun, dass die Sozialisation eine wichtige Rolle spielt. In was für einem Milieu ist man aufgewachsen? Das kann über ein Klassenbewusstsein laufen, etwa «ich bin Teil der Arbeiterklasse» oder über die Religion; die grosse Mehrheit der CVP-Wähler ist heute noch katholisch.

Und die Jungen, wählen die anders?
Die Jungen wählen weniger und vor allem instabiler. Wenn man älter wird, ist man irgendwann bei einer bestimmten Partei angekommen. Ab 80 Jahren nimmt die Wahlbeteiligung dann wieder ab. Es gibt aber auch bei den Jungen selten radikale Positionsänderungen. Sie variieren innerhalb desselben ­Lagers.

Die Gruppe der Nichtwähler ist in der Schweiz aber weiterhin sehr gross.
Wenn die durchschnittliche Wahlbeteiligung in der Schweiz bei 45 Prozent liegt, so heisst das nicht, dass immer dieselben 45 Prozent der Bürger an die Urne gehen. Die Leute gehen sehr selektiv wählen. Untersuchungen haben gezeigt, dass innerhalb eines­ 4-Jahres-Zyklus über 80 Prozent der Schweizer mindestens einmal an die Urne gehen. Die Vollabstinenzler sind eine sehr kleine Gruppe. In der Schweiz gibt es halt im internationalen Vergleich extrem viele Urnengänge. Es gibt Abstimmungen auf der kommunalen, kantonalen und eidgenössischen Ebene. Diese hohe Belastung führt zu einer weniger fleissigen Wahlbeteiligung. Der zweite Erklärungsfaktor ist die grosse Stabilität in der Schweizer Parteienlandschaft. Bei 2 Prozent mehr oder weniger Wähleranteil spricht man hierzulande schon von einem Erdrutschresultat. Im Ausland ist dies ausserhalb der medialen Wahrnehmungsschwelle. Seit 1959 sind sämtliche grossen Parteien im Bundesrat vertreten.

«50 Prozent der Leute wählen so, wie schon ihre Eltern gewählt haben»

Was für Auswirkungen haben die Parlamentswahlen auf die im Dezember stattfindenden Bundesratswahlen? Wie wird der Bundesrat in Zukunft zusammengesetzt sein?
Das ist noch relativ offen. 2007 und 2011 kam jeweils eine Mehrheit für Eveline Widmer-Schlumpf zustande. Diese Mehrheit, bestehend aus der CVP, GLP, BDP sowie der Linken, ist mit etwa 142 Sitzen relativ stabil. Der andere Block, bestehend aus FDP und SVP, hat momentan 104 Sitze. Bundesratswahlen haben eine Logik: Es muss für den jeweiligen Kandidaten eine Mehrheit gefunden werden. Dieses­ absolute Mehr liegt in der Vereinigten Bundesversammlung bei 124 Stimmen. Deshalb glaube ich nicht, dass sich etwas ändern wird. Die interessante Frage ist: Was würde passieren, wenn Frau Widmer-Schlumpf nicht mehr antritt?


Was wäre dann?

Dann wird es kompliziert. Es gäbe sicher eine gros­se Fraktion im Parlament, bestehend aus Vertretern der Linken, der CVP und der GLP, die finden, der Bundesrat wäre nicht repräsentativ, wenn dort die SVP/FDP mit vier Bundesräten eine Mehrheit besitzen würden. Die Gegner dieses Szenarios müssten sich aber wieder selber auf eine Kandidatur einigen und dann ginge das Gerangel los. Eine dritte linke Kandidatur käme für die CVP wohl nicht infrage. Wird es dann eine GLP-Kandidatur oder eine zweite CVP-Kandidatur geben? Das würde strategisch anspruchsvoll werden.

«Die Abstinenzler sind eine kleine Gruppe»

Hat sich die politische Kultur in der Schweiz verändert? Wird jetzt mit härteren Bandagen gekämpft?
Ich würde nicht sagen mit härteren Bandagen, aber gerade die grossen Parteien machen heute viel professioneller Wahlkampf als früher. Inzwischen sind die meisten Wahlkampagnen national organisiert. Die Kantone können noch Variationen hineinbringen, aber das meiste wird von der nationalen Parteizentrale bestimmt. Es wird tendenziell immer mehr Geld ausgegeben.

Apropos Geld, es wird in letzter Zeit viel diskutiert über Parteienfinanzierung und Transparenz in Bezug auf Parteispenden.
Ich halte Intransparenz grundsätzlich für problematisch. In den meisten westlichen Demokratien können sich die Leute informieren, woher die Gelder einer Partei stammen. Die Schweiz ist das einzige Land, in dem diesbezüglich keine Transparenz herrscht. Man weiss nicht, woher die Gelder kommen und was für Bedingungen möglicherweise an die Spenden geknüpft sind. Die Geldflüsse in der Politik müssen offengelegt werden.
Gewinnt der die Wahlen, der am meisten Geld hat?
Wahlen gewinnt man nicht, weil man viel Geld hat und man verliert sie nicht, weil man wenig Geld hat. Es gibt in der Vergangenheit viele Beispiele, wo mit wenig Mitteln grosse Erfolge erzielt wurden. Eine Rolle spielt es bei den Kandidaten. Da muss man die Konkurrenten auf der eigenen Liste schlagen. Dies geschieht, indem man bekannter ist als die Mitkandidaten. Bekanntheit kann man sich erkaufen.

Im Wallis wird im Nationalrat neu ein achter Sitz verteilt. Wie sehen die neuesten Prognosen aus?
Die CVP wird ihre drei Sitze wohl halten können, und für FDP, SP und SVP ist je ein Sitz sicher. Für die letzten zwei Sitze wird es dann knapp. Die SVP hatte 2011 19,7 Prozent, die FDP 18,8 Prozent, die Linken Parteien zusammen 20,3 Prozent. Die beiden Parteien bzw. Blöcke mit den meisten Stimmen werden dann je einen Zusatzsitz machen und es muss sich dafür nur wenig verschieben. Gute Karten haben zurzeit SVP und FDP für je einen zweiten Sitz, das heisst, die SP ist unter grösserem Druck.

Wie beeinflusst die Arbeit als Politologe Ihr persön­liches Wahlverhalten?
Ich versuche, das klar zu trennen. Im persönlichen Wahlverhalten funktioniere ich nach demselben Muster wie die meisten Leute. Man hat seine politischen Präferenzen, diese lege ich aber nicht offen.

Frank O. Salzgeber

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Infos

Vorname Georg
Name Lutz
Geburtsdatum 17. November 1971
Familie verheiratet, zwei Kinder
Beruf Politologe
Hobbies Skifahren, Joggen, Lesen, Skitouren
Ich selber gehe immer wählen und abstimmen. Ja
Die Schweiz hat das besten politische System der Welt. Nein
Eine Frauenquote in der Politik ist nötig. Nein
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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