Binntal | Gibt es bald wieder Bären im Oberwallis?
Dem Bären auf der Spur
Ein Autofahrer hat vor zehn Tagen im Binntal einen Bären beobachtet und gefilmt. Das sorgte für Aufregung im Netz und bei den Behörden. Die RZ auf der Spur des Binntal-Bären.
Samstag, 22. Juni, gegen zwei Uhr früh. Frederick Imhof staunt nicht schlecht, als ihm auf der Kantonsstrasse von Ausserbinn nach Binn ein Bär vors Auto läuft. Imhof handelt instinktiv und filmt das Tier, das nach einigen Hundert Metern von der Strasse verschwindet.
Keine Vorsichtsmassnahmen
Knapp eine Woche später. Auch wenn der Bär, so vermuten die Behörden, längst über alle Berge nach Italien weitergewandert ist, ist das plötzliche Auftauchen von Meister Petz im Gemeindebüro, auf den Strassen und in den Restaurants im Binntal immer noch ein Thema. «Natürlich war ich überrascht, als ich von der Präsenz des Bären gehört habe», erklärt Binns Gemeindepräsidentin Jacqueline Imhof. «Darum habe ich mir auch Gedanken über eventuelle Vorsichtsmassnahmen gemacht.» Umso erleichterter sei sie gewesen, dass die örtliche Wildhut und der Kanton sofort mit ihr Kontakt aufgenommen und Entwarnung gegeben hätten. «Man hat mir klipp und klar gesagt, dass keine Massnahmen anzuordnen seien», hält Imhof fest. Auch die heimische Bevölkerung habe, zumindest nach aussen hin, gelassen auf die Bärenpräsenz reagiert. «Ich hatte nicht ein einziges Telefonat eines besorgten Bürgers, obwohl ich das eigentlich erwartet hatte», sagt Imhof.
«Bin ein bisschen geschockt»
Auch im Restaurant Zur Brücke geht das gewohnte Leben seinen Gang. Nein, Angst vor dem Bären habe man hier nicht, sagt Melanie Zeiter, die im Service arbeitet. Und ihre Mutter Lucia ergänzt, dass sich die Aufregung inzwischen gelegt habe. Trotzdem müsse man das Tier im Auge behalten. «Raubtiere wie Wolf und Bär haben hier nichts verloren. Hier ist kein Lebensraum für Grossraubtiere», fügt sie an. Ein paar Meter weiter treffen wir auf ein Paar aus der Ostschweiz, das im Binntal seine Ferien verbringt. Auf die Frage nach dem Bären, der im Binntal gesichtet wurde, bleiben sie verwundert stehen. «Ein Bär im Binntal? Davon haben wir noch gar nichts gehört», sagt Rahel Hess erstaunt. Auch ihr Mann Andreas zeigt sich verwundert: «Ich bin ein bisschen geschockt. Allein die Tatsache, einen Bären in der Gegend zu wissen, ist schon sehr speziell.» Dieser Meinung ist auch Alfred Imhof, der im Binntal eine Schnitzwerkstatt hat. «Man kann nie ausschliessen, dass so ein Tier gefähr-
lich sein könnte. Vor allem, wenn es unverhofft auf Menschen trifft», sinniert Imhof.
Eingewandert aus Italien
Neben dem Binntal-Bären wurde Anfang Juni auch im Aletschgebiet ein Bär gesichtet. «Ich denke, die Bären kommen aus Italien. Möglicherweise handelt es sich um ein und dasselbe Tier», sagt Peter Scheibler, Chef der kantonalen Dienststelle für Jagd, Fischerei und Wildtiere. Seit 1999 ist nämlich im Trentino in Italien nahe der Schweizer Grenze ein Projekt zur Wiederansiedlung des Braunbären im Gang. In der Schweiz ist der Bär ausgerottet. Das letzte Tier wurde 1904 im Val S-charl erlegt, einem kleinen Seitental im Engadin. Auch wenn in der Schweiz im Gegensatz zu Italien und Österreich kein Bärenansiedlungsprojekt existiert, häufen sich durch die wachsende Population in Italien die Bärenstreifzüge in der Schweiz. Der erste Bär wurde 2005 im Bündner Nationalpark gesichtet. Seither wandern fast jedes Jahr einzelne junge Männchen aus der Trentiner Bärenpopulation temporär in die Schweiz ein; vor allem ins Engadin und in die Nationalpark-Region. «Wir untersuchen derzeit Spuren des Aletsch-Bären und versuchen, dessen Identität zu bestimmen», sagt Scheibler. Vom Binntal-Bären konnten keine Spuren gesichert werden. Scheibler spekuliert, dass es sich möglicherweise um M29 handeln könnte, der in der Vergangenheit schon in den Kantonen Bern, Uri und Schwyz nachgewiesen wurde.
«Bär hat einen Schweizer Pass»
Lässt sich der Bär also bald dauerhaft in der Schweiz nieder? Die Beispiele in Italien, Österreich und Slowenien zeigen, dass der Braunbär auch in relativ dicht besiedelten Kulturlandschaften einen geeigneten Lebensraum finden kann. «Ich fände es spannend, wenn wieder Bären in der Schweiz leben würden», sagt Eva-Maria Kläy. Die Geschäftsführerin von Pro Natura Oberwallis erwähnt den Abruzzen-Nationalpark in Italien und Gebiete in Griechenland, wo sich die Bären zu Touristenmagneten entwickelt hätten. Weit weniger begeistert zeigt sich Georges Schnydrig, Präsident des Vereins Lebensraum Wallis ohne Grossraubtiere: «Ein Bär stellt ein grosses Schadens- und Gefahrenpotenzial dar. Wir setzen uns deshalb ein für einen Wohn- und Lebensraum ohne Grossraubtiere wie Bär, Wolf und Luchs. Das im Parlament erarbeitete neue Jagdgesetz ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, um die herrschenden Probleme einer Lösung zuzuführen.» Schnydrig geht aber davon aus, dass der im Oberwallis gesichtete Bär nur auf der Durchreise war. Für Eva-Maria Kläy ist aber klar: «Der Bär hat einen Schweizer Pass. Er hat ein Recht, hier zu sein. Wenn es ihm bei uns gefällt, so soll er bleiben.»
Frank O. SalzgeberWalter Bellwald
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