Region | Visp
Der Tag nach dem Blatter-Rücktritt
Nach dem Rücktritt von Fifa-Präsident Sepp Blatter steht die Fussball-Welt kopf. Auch in seiner Heimatgemeinde ticken die Uhren seither anders. Ein bisschen zumindest.
Ein sonniger Mittwochnachmittag, keine 24 Stunden nach der Bekanntgabe des Rücktritts von Sepp Blatter. Brütende Hitze liegt über dem Lonzastädtchen. Die Gartenbeizen sind gut gefüllt und ein paar Leute schlendern durch die Strassen. Der Rücktritt von König Sepp scheint hier, zumindest auf den ersten Blick, weit weg. Doch ein paar Wortfetzen aus einer Gartenbeiz lassen erahnen, dass die Geschichte um Blatter die Leute bewegt.
«Der Sepp tut mir leid»
«Irgendwie sah man es kommen», sagt ein Gemeindearbeiter, der mir zufällig über den Weg läuft. Mehr wolle er dazu nicht sagen. Nur so viel: «Darum müäss i gli ga schaffu.» Der Mann nimmt seine Schubkarre und lässt mich stehen. Die Verkäuferin am Bahnhofkiosk hingegen gibt sich gesprächiger. «Ja der Sepp, er tut mir ein bisschen leid», lässt sich die ältere Dame entlocken. Persönlich kenne sie den noch amtierenden Fifa-Präsidenten zwar nicht, «aber er kommt ab und zu hier vorbei.» Gibt der Rücktritt Blatters am Kiosk zu reden? «Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich eben erst meine Arbeit aufgenommen habe», entschuldigt sich die Dame höflich. «Aber», ergänzt sie, «aufgrund der Tatsache, dass der ‹Blick› heute vergriffen ist, gehe ich davon aus, dass das Thema die Leute interessiert.» Auf dem Weg zum alten Primarschulhaus, das seit der Wahl von Sepp Blatter zum Fifa-Präsidenten 1998 seinen Namen trägt, geben sich die Leute zurückhaltend. «Nein, der Presse gebe sie keine Auskunft», sagt eine junge Frau und ein grau melierter Mittfünfziger ergänzt, die Presse schreibe sowieso, was sie wolle. Daraus zu schliessen, dass die Schlagzeilen der vergangenen Tage auch im Lonzastädtchen ihre Spuren hinterlassen und den Lack von König Sepp angekratzt haben, scheint nicht weit hergeholt.
«Alle sehen die Macht und das Geld»
Die wenigen Kinder, die sich trotz Gluthitze auf dem Sportplatz vor dem «Sepp Blatter Schulhaus» eingefunden haben und Fussball spielen, scheint die Blatter-Story nicht sonderlich zu interessieren. Auf die Frage des Reporters, ob sie den Rücktritt von Sepp Blatter mitbekommen hätten, antworten sie artig mit «Ja». Darauf folgen Standardsätze wie «Wir gehen gerne zur Schule» oder «Das ‹Sepp Blatter-Schulhaus› ist schön.» Erst auf die Frage, ob er denn gerne Fussball spiele, erwacht der achtjährige Levin zum Leben. Er sei ein begeisterter Fussballer, antwortet er und zeigt mir eines seiner Kunststücke. Ob hier ein neuer Ronaldo, Messi oder Schweinsteiger heranwächst? «Ich finde es tragisch, dass man Sepp Blatter medial so verunglimpft.» Miranda Zimmermann ist es, die mich aus meinen Gedanken holt. Die 49-Jährige sitzt in der Schulleitung der Visper Primarschule und des örtlichen Kindergartens und arbeitet im «Sepp Blatter Schulhaus». Sie kenne Sepp Blatter zwar nicht persönlich und habe überhaupt keinen Bezug zum Fussball, betont sie. «Trotzdem finde ich es nicht richtig, dass man so auf eine Person abzielt.» Peter Gruber (68) hingegen kennt den Sepp schon seit 40 Jahren. Im Café Fux erinnert sich der pensionierte Schulhausabwart an die Nacht-und-Nebel-Aktion im November 1998, als das alte Schulhaus zum «Sepp Blatter Schulhaus» umbenannt wurde. Dabei hatte auch Peter Gruber seine Finger im Spiel. «Abgfroru sindsch mer fascht», erinnert er sich an jenen kalten Novemberabend 1998, als er das Fifa-Logo auf die Wände des Schulhauses pinselte, und dieses noch am gleichen Abend, auf Wunsch des Fifa-Präsidenten höchstpersönlich, wieder übermalen musste. «Weil es rechtlich geschützt ist», sagt Gruber, der sich überrascht zeigt, dass Blatter so schnell nach seiner Wiederwahl das Handtuch geworfen hat. «Der Sepp versteid scho eppis va Füessball», sinniert Gruber und kann die Hetzjagd auf seinen Freund nicht nachvollziehen. «Alle sehen nur die Macht und das Geld, aber was er für den Weltfussball getan hat, vergessen viele. Ich glaube nicht, dass es nach der Ära Blatter besser wird.»
Grosse Verdienste für die Fifa
Das bezweifelt auch Philipp Bittel (60), den ich im Napoleon, der Stammbeiz Blatters, antreffe. «Ich habe mich riesig über seine Wiederwahl gefreut. Dass er nun so schnell von der Weltbühne abtritt, enttäuscht mich ein wenig.» Auch Bittel unterstreicht die Arbeit von Blatter in der Fifa und ist der Meinung, dass dies die Öffentlichkeit zu wenig anerkennt. «Ich finde es schade, dass man ihn nun verbal ‹abschlachtet›. Das hat er nicht verdient.» Überhaupt herrscht im «Napi» eine aufgeräumte Stimmung. Die Meinungen sind im Stammlokal Blatters denn auch gemacht und der Tenor ist einhellig. «Der Sepp ist ein guter Mensch», sagt Heinrich Amherd (69) stellvertretend für viele andere. «Er zahlt jedem etwas, egal ob arm oder reich. Und was er auf die Beine gestellt hat, ist unbeschreiblich.» Nur beim Stichwort «Korruption» hört man allenthalben gerne weg. «Der Sepp ist nicht korrupt. Dafür ist er viel zu ehrlich», sagt Amherd und prostet mir zu. Auch Gemeindepräsident Niklaus Furger (62) ist davon überzeugt, dass Blatter nicht in die Korruptionsaffäre verwickelt ist. «Ich kenne Sepp als einen aufrichtigen, offenen und ehrlichen Mann», unterstreicht der Gemeindepräsident und fügt an: «Und ich glaube an ihn.» In diesem Zusammenhang verweist Furger darauf, dass die Visperinnen und Visper stolz auf «ihren» Sepp seien. «Seine Bedeutung und Ausstrahlung in der Welt ist enorm und seine Verdienste für die Fifa sind nicht von der Hand zu weisen.» Dass er nach seiner Wiederwahl nun vorzeitig abgetreten sei, habe niemand so erwartet. Letztlich habe er wohl dem Fussball und dem Verband zuliebe diesen Schritt vollzogen, mutmasst Furger. In der Zwischenzeit ist das «Napi» gut gefüllt, das Thema gegeben. Die Leute sind in Spendierlaune, weil morgen ein Feiertag ansteht. Das lässt man sich nur ungern vermiesen, auch wenn in der Zwischenzeit immer mehr Journalisten aus aller Welt das «Napi» in Beschlag nehmen. Derweil hat sich ein Grossteil der Besucher die Meinung gemacht. «Dr Sepp het kei Dräck am Stäcku», wirft ein älterer Mann ein und sagt damit, was viele denken.
Walter Bellwald
Artikel
Kommentare
Noch kein Kommentar