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Fehlt Dorfmusiken der Nachwuchs?
Wegen sinkender Musikschülerzahlen blickt der Musikverein «Vispe» in eine ungewisse Zukunft. Doch nicht überall zeigt sich dasselbe Bild.
Markus Studer, der Präsident der «Vispe». sorgt sich um den Musikantennachwuchs in Visp. Denn die Zahl der Neumusiker sinkt.
Das Interesse an der Musik wecken
«Selbst wenn zehn Kinder heute ein neues Instrument wie etwa Posaune, Klarinette oder Saxophon lernen, werden schlussendlich nur etwa vier in einer Musikgesellschaft aufgenommen», so der Präsident. Denn ein Instrument lerne sich nicht einfach über Nacht. Es dauert rund fünf Jahre, bis ein Lernender die musikalischen Grundlagen erarbeitet hat. Das Gelernte in einem Verein umzusetzen ist bei einigen anderen Freizeitbeschäftigungen mit weniger Aufwand zu bewerkstelligen. Bei grösseren Gemeinden wie Visp ist die Vielfalt und das Angebot der Vereine um einiges höher als vor zehn Jahren. Die Jugendlichen können sich deswegen nicht mehr zu 100 Prozent für einen Verein entscheiden. Heute ist das Bedürfnis nach Freizeitbeschäftigung viel schnelllebiger. «Um die Aufmerksamkeit der Jungen auf die Musik zu lenken und so dem Mitgliederschwund entgegenzuwirken, haben wir drei Möglichkeiten. Erstens findet jährlich ein Atelier statt, an dem unsere Jugendmusiker allen Interessierten ihre Instrumente vorführen. Zweitens die Tischmesse, an der wir unseren Verein vorstellen.» Als Drittes sei aber die Mundpropaganda besonders wichtig. «Kollegialität ist ein wichtiger Aspekt einer Dorfmusik. Und wenn unsere Mitglieder erzählen, wie viel Freude sie beim Musizieren und bei den Auftritten haben, hören ihre Kollegen und Verwandten zu. Diese erzählen es dann vielleicht sogar weiter, was diese Art der Verbreitung so effizient macht. Und es bleibt mehr von der Begeisterung hängen, als wenn jemand einfach in die Schule kommt und ein Instrument vorstellt.» Man könne eine gewisse Tendenz zwischen den männlichen und weiblichen Neuanfängern nicht abstreiten. «Die Jungen möchten sehr oft Schlagzeug spielen, während die Mädchen meist die Querflöte wählen. Deswegen sind die anderen Instrumente umso schwieriger zu besetzen», erklärt Studer. Das versuche man am Vorstellungstag der Jugendmusik geringfügig zu steuern, indem man fehlende Instrumente etwas prominenter vorzeige. «Möchte ein Kind jedoch unbedingt ein bestimmtes Instrument spielen, ist es nicht unser Ziel und auch kaum möglich, es von dem Gedanken abzubringen.»
Mangel nicht überall präsent
Besonders in kleineren Bergdörfern sieht man eine zu geringe Mitgliederzahl eher selten. Bei der Bellwalder Musikgesellschaft «Richenenalp» beispielsweise sieht man keine grossen Mitgliederprobleme. «Unsere Zahlen bleiben mit 20 Mitgliedern relativ stabil. Für zwei austretende nehmen wir zwei neue Mitglieder wieder auf. Es macht auch in einer kleineren Musik Spass, wenn der Probebesuch so gut ist wie bei uns», erklärt Präsident Roland Wirthner. Vor allem bei der Jugend sei die Musik im Dorf sehr beliebt. Aber wenn trotzdem einmal ein Instrument besetzt werden muss, wendet man sich an ehemalige Mitglieder. «Sie sind mit dem Aufwand vertraut und wissen, was auf sie zukommt. Wir hatten das Glück, zwei solche Mitglieder zurückzugewinnen», freut sich Wirthner. Wie bei der «Vispe» sind aber auch hier die Trompeten und Klarinetten am schwierigsten zu besetzen, so Wirthner. Die «Richenenalp» hat eine eher spezielle Art der Finanzierung. Wo die «Vispe» Jahresbeiträge und Lottokarten als Haupteinnahmequelle hat, sind dies bei der Bellwalder Musik sechs Racletteabende im Sommer sowie ein Fest zum 1. August. Mit diesen Anlässen deckt sie ihre Kosten, sodass kein Jahresbeitrag vonnöten ist.
Das Oberwallis schlägt sich gut
Gemäss Georges Martig, Präsident Musikkommission des Oberwalliser Musikverbandes (OMV), sind die Schülerzahlen in den vergangenen zehn Jahren um knapp 300 Schüler gesunken (siehe nebenstehende Grafik). «Dies hat vor allem zwei Gründe: Zum einen sind die Geburtenzahlen gesunken, zum anderen ist das Freizeitangebot um ein Vielfaches angewachsen. Dies wirkt sich auf die Mitgliederzahlen der Blasmusikvereine aus», erläutert Martig. Das Oberwallis habe jedoch im Vergleich zur restlichen Schweiz ein reges Blasmusikwesen. In anderen Kantonen mussten schon vor zehn Jahren Vereine wegen Mitgliederschwund aufgelöst werden. «Wenn wir dies mit den Jugendmusiken im Oberwallis vergleichen, sind wir hier nach wie vor in einer glücklichen Lage. Die fünf bis sechs Jugendmusiken haben sich an den Eidgenössischen Jugendmusikfesten 2008 und 2013 allesamt hervorragend geschlagen.» Konkurrenz sei belebend für die Entwicklung der Vereine. Innerhalb jeder Stärkeklasse messen sich die Musikvereine jährlich am Oberwalliser Musikfest. «Der OMV ist stolz, dass er über 50 Vereine als Mitglieder zählen darf und davon sechs bis sieben in der 1. Stärkeklasse vertreten sind. In den letzten drei Jahren sieht man aber auch bei uns einen Mitgliederrückgang», so der Präsident des OMV. Um dagegen vorzugehen, müssten Musikvereine sowie die Musikschule attraktiv bleiben. «Die Qualität und das Angebot des Unterrichts sind gestiegen. Die Musikvereine sind aufgrund der Schliessung vieler Schulen und Dorflädeli ein wichtiger sozialer Halt für die Bevölkerung. Sie engagieren sich für Anlässe der Kirche und Gemeinde. Ein nicht zu unterschätzender Faktor in einem kleinen Dorf.» Einen grossen Einfluss auf die Wahl des Hobbys hätten auch die Eltern. «Diese werden meines Erachtens in der Zukunft wieder mehr auf Musik als gesamtheitliche Ausbildung für ihr Kind setzen. Dies wird sich wiederum auf den Nachwuchs in den Vereinen auswirken. Zudem ist die Zahl der Kinder, welche im passenden Alter für den Eintritt in die Musikschule sind, wieder deutlich gestiegen», schliesst Georges Martig.
Sebastian Walter
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Kommentare
Roland H.E. Wirthner - ↑3↓2
Also wenn (Ober-)Walliser Blasmusikvereine über fehlenden Nachwuchs jammern, dann haben Sie definitiv etwas falsch gemacht. Leider ist es schon seit den 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts so, dass viele Vereine ihr Hobby viel zu ernst nehmen und auf einem viel zu hohen Niveau spielen, von dem viele Junge heute abgeschreckt werden, denn üben war noch nie cool. Die meisten Vereine haben sich auch in die Konzertsäle zurückgezogen in der Meinung, das Publikum hätte ihnen gefälligst dahin nachzukommen. Und so sieht man heute (im Wallis Gott sei Dank noch nicht so viel) eine Blasmusik im öffentlichen Raum nur noch sehr selten, sodass viele Leute schon gar nicht mehr wissen, wie eine Blasmusik aussieht vergiss, wie sie tönt! Zudem hat sich die demographische Entwicklung unserer Bevölkerung halt massiv verändert. Die jungen Schweizer Eltern haben zwar alles, nur fast keine Kinder mehr und die kinderreichen Ausländer interessieren sich halt eher für den Fussball, wo man's mit viel weniger Aufwand schneller zu viel mehr bringt! Leider tragen auch all die modernen Social Media's (Facebook, Twitter u.s.w.) massiv zum Musiksterben bei (warum soll ich mich gesellschaftlich engagieren, wenn's doch vor dem Compi soo gemütlich ist!!!). Und warum soll ich denn überhaupt noch ein Instrument erlernen, wenn ich doch via iphone und Co. von morgens früh bis abends spät über Kopfhörer meine perfekte klingende, billige Konservendosen-Volksverblödung anhören kann! Leider sind viele Musikgesellschaften an ihrem Dilemma nicht ganz unschuldig. Viele Vereine haben nicht gerade den besten Ruf bei Eltern, welche ihre Kinder um jeden Preis vor jeglichen Drogen schützen wollen. Die musikalische Ausbildung ist heute leider nur zu oft für viele Eltern nicht mehr erschwinglich, auch wenn Sie ihren Kindern dieses Hobby nur zu gern ermöglichen würden. Und viele Vereine sind einfach nicht mehr wind- und wetterfest und abgehoben, sodass sie die Platzkonzerte und v.a. das Spielen von Märschen scheuen wie der Teufel das Weihwasser! Und wenn in den div. Musikkommissionen der versch. Verbänden dann auch noch zunehmend Leute sitzen, welche die Marschmusik (die Wurzel der Blasmusik)an Musikfesten nur noch in mutilierter Form oder am liebsten gar nicht mehr hören möchten, dann braucht man sich doch nicht zu wundern, wenn sich bald niemand mehr für Blasmusik interessiert. Aber um es kurz zu fassen: Offenbar wissen viele (Ober-)Walliser BlasmusikanntInnen gar nicht, wie gut sie es doch eigentlich noch haben! Vielleicht sollten all die "Jammereisen" ihr nach wie vor gesundes Blasmusikwesen einmal mit demjenigen im Kanton Bern (und hier v.a. den Städten Bern, Thun, Biel u.U.) vergleichen kommen, wo eine absolut verfehlte Kulturpolitik der letzten 25 Jahre dem Blasmusikwesen wirklich bis zum schieren Untergang massiv schadet und die paar Vereine, die's noch gibt, sehr oft nur noch als Projektorchester mittels Canadierwesen einigermassen funktionieren. In diesem Sinne: Nicht jammern! Back to the roots! Geht auf die Strasse und in die Schulen und holt euch die MusikanntInnen und euer Publikum mit guten Konzerten zurück !!!
Roland H.E. Wirthner
Blasmusikdirigent SBV a.D.
Ostermundigen
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