Genderdebatte | Divergierende Meinungen zur geschlechtergerechten Sprache
Geschlechtergerechte Sprache in der Verfassung sorgt für Diskussionen
Region Die neue Kantonsverfassung soll in einer geschlechtergerechten Sprache verfasst werden. Dazu wurde ein Kurs für die Mitglieder des Verfassungsrates organisiert. Das stösst nicht überall auf Zustimmung.
Gestern Abend konnten sich Mitglieder des Verfassungsrates zu einer Schulung in Sitten einfinden. Thema: eine geschlechtergerechte Sprache, deren Umsetzung und deren Vorteile. Doch das Vorhaben stiess nicht überall auf Zustimmung. Als «Verschwendung von Steuergeldern» bezeichnete Verfassungsrat Michael Kreuzer (SVP) die Angelegenheit im Vorfeld auf Facebook. «Solch ein Kurs ist unnötig, da es für Formulierungsfragen beim Kanton bereits Juristen und Übersetzer gibt», führt Michael Kreuzer dazu aus. «Immerhin hat der Verfassungsrat gerade eben neue Juristen angestellt. Jedes Jahr werden in der Schweiz Hunderte Gesetze und Verordnungen geschaffen oder revidiert und es gibt überhaupt keine sprachlichen Probleme damit.» In diesem Zusammenhang weist Kreuzer auf die durch solche Kurse entstehenden Kosten hin. «Der Staat hat einen verantwortungsvollen Umgang mit den Steuergeldern zu pflegen. Tausende von Walliserinnen und Wallisern gehen jeden Tag zur Arbeit und müssen einen grossen Teil des Lohns dem Staat abgeben. Es kann daher nicht sein, dass damit einige wenige rot-grüne Kreise ihre Ideologien verbreiten können.»
«Wichtiges Thema»
Ganz anders sieht die Angelegenheit indes Verfassungsrätin Rahel Zimmermann (Zukunft Wallis). «Ein solcher Kurs ist auf jeden Fall sinnvoll und auch nötig», sagt sie und verweist auf die grundsätzliche Natur der Angelegenheit. «Es geht darum, dass wir in der neuen Verfassung die Frauen sprachlich nicht nur ‹mitmeinen›, sozusagen als Fussnoten, sondern ihnen effektiv den Platz einräumen, den sie in der Realität auch einnehmen, nämlich 50 Prozent der Bevölkerung.» Zimmermann, die in der Abteilung Gleichstellung von Frauen und Männern des Kantons Basel-Stadt arbeitet, verweist in dem Zusammenhang auf eine Kuriosität im Bürgerrechtsgesetz von 1952. «Darin hiess es: ‹Ein Ausländer kann nach der Eheschliessung mit einem Schweizer ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen›», sagt sie. «Das ist doch absurd, denn von einer ‹Ehe für alle› war man damals noch unendlich weit entfernt.»
«Für alle sinnvoll»
Obwohl klar ist, dass die neue Walliser Kantonsverfassung in einer geschlechtergerechten Sprache verfasst werden wird, widerspricht Rahel Zimmermann Michael Kreuzers Kritik, ein entsprechender Kurs für alle Verfassungsrätinnen und Verfassungsräte sei unnötig und eine Verschwendung von Steuergeldern, da das Dokument ohnehin von einem Redaktionsteam, dem sie angehört, entsprechend bearbeitet werde. «Sprache bestimmt unser Denken und somit die Realität», betont Zimmermann. «Ich finde daher, dass es wichtig ist, dass Leute, die eine neue Verfassung erarbeiten, bei ihrer Arbeit auch wirklich beide Geschlechter mitmeinen. Daher ist ein solcher Kurs sicher sinnvoll für alle.» Zudem, so die Verfassungsrätin, erleichtere es auch die Arbeit, wenn Texte und Dokumente direkt geschlechtergerecht formuliert würden. «Es ist viel umständlicher, wenn dies im Nachgang von einem Redaktionsteam erledigt werden muss», sagt Rahel Zimmermann. Verfassungsrat Michael Kreuzer hingegen findet nicht, dass die neue Walliser Verfassung zwingend geschlechtergerecht verfasst werden muss. «Es sollte die deutsche und französische Sprache gemäss deren offiziellen, international anerkannten Sprachregeln verwendet werden. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist bereits klar in der Bundesverfassung verankert», sagt er.
«Unnötig kompliziert»
Als Begründung dafür nennt Kreuzer vor allem die Lesbarkeit einer solchen Sprache. «Geschlechtergerechte Sprache ist meistens mühsam zu lesen und will völlig normale und in der Gesellschaft unbestrittene Begrifflichkeiten aus dem Sprachgebrauch streichen», so der Verfassungsrat der SVP. «Es ist schlichtweg lächerlich, wenn wir in Zukunft zum Beispiel in einem Strassenverkehrsgesetz das Wort ‹Fussgängerstreifen› durch den in der Schweiz nicht verwendeten Begriff ‹Zebrastreifen› ersetzen müssen, nur um damit die Forderungen einiger extremer Feministinnen und Gender-Hochschuldozentinnen zu erfüllen, welche sich dann als Expertinnen in diesem Bereich, von Steuergeldern finanziert, noch eine goldene Nase verdienen.»
«Realität abbilden»
Für das Argument der Kritiker einer geschlechtergerechten Sprache, diese würde dadurch komplizierter und weniger leserfreundlich, hat Verfassungsrätin Rahel Zimmermann ein gewisses Verständnis. «Etwas umständlicher werden Texte so schon», sagt sie, betont aber auch mit Nachdruck: «Allerdings geht es hier um die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die Jahre Bestand haben soll. Da ist es wichtiger, dass die gesellschaftliche Realität adäquat abgebildet wird. Und in einer solchen dürfen Frauen nicht einfach nur mitgemeint sein.»
Martin Meul
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