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Hilfe im Buchstabenchaos
Auch im Oberwallis gibt es viele Menschen mit einer Schreib- und Leseschwäche. Hier setzt das Projekt «Lesen und Schreiben» ein und will mit Kursen Betroffenen helfen.
In der Schweiz können 800 000 Menschen trotz einer langjährigen Schulzeit kaum Lesen und Schreiben. Das heisst, rund 16 Prozent der Bevölkerung zwischen 16 und 65 Jahren leiden unter Illetrismus. In Deutschland und Österreich wird dafür auch der Begriff «funktionaler Analphabetismus» verwendet. Eine von Illetrismus betroffene Person kann einen einfachen Text nicht richtig lesen und verstehen. Sie hat Probleme, Zugfahrpläne zu entziffern, Formulare auszufüllen oder Automaten zu bedienen. Von den elektronischen Medien wie E-Mail, Chat oder Twitter ganz zu schweigen.
Leseschwäche kostet 1 Milliarde
Im Arbeitsalltag wird fast alles über die geschriebene, gelesene und gesprochene Sprache geregelt. Weil sie zu wenig gut lesen und schreiben gelernt haben, können von Illetrismus Betroffene ihr Potenzial oft nur ungenügend nutzen. Mehr noch. Das Risiko, arbeitslos zu werden und dies auch länger zu bleiben, ist für Betroffene doppelt so hoch. Insgesamt werden die volkswirtschaftlichen Kosten, die durch Illetrismus verursacht werden, gemäss einer Studie des Bundesamts für Statistik auf jährlich rund eine Milliarde Franken geschätzt.
Kurse helfen
Das Problem Illetrismus existiert natürlich auch im Wallis. Aus diesem Grund setzt sich die «Association Lire et Ecrire» im Unterwallis seit mehr als 20 Jahren für eine Verbesserung der Lese- und Schreibkompetenz ein. Seit 2014 gibt es auch im Oberwallis eine Sektion von «Lire et Ecrire». «Wir wollen die Öffentlichkeit sensibilisieren und Betroffenen Hilfe anbieten», sagt Andrea Mengis-Hutter, Projektleiterin von «Lesen und Schreiben Oberwallis». Auch im Oberwallis können jetzt Lese- und Schreibkurse besucht werden. Diese unterstützen Betroffene dabei, sich von negativen Gefühlen zu befreien, das Selbstwertgefühl zu steigern und Möglichkeiten statt Hindernisse zu sehen. «Manche möchten ihre mit der Zeit eingerosteten Fähigkeiten wieder auffrischen und aktivieren, beispielsweise durch ein Wiederholen der heute gültigen Rechtschreibregeln, andere brauchen für die Verwirklichung ihrer Berufswünsche etwas mehr Zeit und kommen mit konkreten Zielen», erzählt Mengis-Hutter.
Hemmschwelle gross
Viele von Illetrismus Betroffene schämen sich aber, weil Lese- und Schreib-defizite in der Gesellschaft als Zeichen von Minderwertigkeit gelten. Mit verschiedenen Vermeidungsstrategien versuchen Betroffene, ihre Schwäche zu verdecken. Sie suchen deshalb meistens keine Unterstützung, besuchen keine Kurse, weil sie nicht mit Verständnis rechnen. Die Hemmschwelle ist zu gross. Dabei hat Illetrismus nichts mit fehlender Intelligenz zu tun, wie Mengis-Hutter betont: «Man hat wie keinen Aufnahmekanal. Aus irgendeinem Grund ist der literarische oder schriftliche Kanal wie verstopft.»
Was sind die Ursachen?
Illetrismus hat vielfältige Ursachen. Vielleicht ist jemand in der Jugend öfters umgezogen oder er fehlte wegen Krankheit oft in der Schule. Bei einem anderen war das familiäre Umfeld schwierig und er wurde von Eltern und Lehrern vernachlässigt. Manchmal gibt es auch organische Gründe, die den Erwerb der Kulturtechnik Lesen und Schreiben beeinträchtigen, etwa eine Augenerkrankung. Wer nach der Schule nicht oder kaum mehr liest und schreibt, kann erworbene Fähigkeiten auch wieder verlieren.
Mentalitätsunterschiede
Mengis-Hutter registriert einen Mentalitätsunterschied zwischen Unter- und Oberwallis. Während im Unterwallis die angebotenen Kurse mit rund 120 Teilnehmern gut besucht sind, sogar Warteliste existieren, nehmen im Oberwallis bisher nur einige wenige das Kursangebot wahr.
www.lesen-schreiben-d.ch
www.lire-et-ecrire.ch
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Kommentare
M. Pretto - ↑0↓0
Wir wiederholen Rechtschreibung und Grammatik, lernen Texte schneller zu lesen und bessere Sätze zu formulieren. Man kann 3mal schnuppern und der Kurs kostet 50.- im Monat.
Ein Anruf ist unvebindlich.
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