Leukerbad | Mitternachtslesung auf der Torrent

Literatur zur Geisterstunde

Mitternachtslesung auf Torrent: Pedro Lenz, Rolf Hermann und Tanja Maljartschuk (von links).
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Mitternachtslesung auf Torrent: Pedro Lenz, Rolf Hermann und Tanja Maljartschuk (von links).
Foto: RZ

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Über 60 verschiedene Veranstaltungen konnten am diesjährigen Literaturfestival in Leukerbad besucht werden. Einen besonderen Reiz hat sicherlich die Mitternachtslesung. Impressionen vom literarischen Rendezvous zwischen Gemmi und Torrent.

Das kleine Lichtermeer von Leukerbad wird immer kleiner. Leise schwebt die Luftseilbahn im Dunkeln nach oben, dem klaren Sternenhimmel entgegen. Rund 90 Unentwegte treffen sich zu mitternächtlicher Stunde auf Torrent. Dort, auf 2350 m ü. M., ist es nach dem Hitzetag angenehm kühl. Pünktlich zur Geisterstunde startet die Lesung mit den drei anwesenden Autoren Pedro Lenz, Rolf Hermann sowie Tanja Maljartschuk. Nebst eigenen Texten lesen die drei verstörende, berührende, abgründige Kurzgeschichten aus dem Werk der rumänisch-stämmigen Autorin Aglaja Veteranyi, deren eigenes Leben dramatisch war und endete. Schade nur, dass die Hommage an Veteranyi auf Torrent schon um 0.30 Uhr endete.

Pedro Lenz, der Mundartvirtuose

Pedro Lenz konnte tags darauf auch im Garten des Hotels Quellenhof gehört werden. Dort bewies der Autor von «Der Goali bin ig», wieso er im Moment der wohl beliebteste Mundartautor der Schweiz ist. Aus seinem Büchlein «Der Liebgott isch kei Gränz­wächter» gab er eine Kostprobe seiner Kurzgeschichten. In bester Mani-Matter-Manier gelingt es Lenz, Alltagssituationen humorvoll und mit hintergründigem Feinsinn einzufangen. Die Wurzeln des 54-Jährigen in der Spoken-Word-Szene sorgen dafür, dass jede Lesung zu einem fulminanten Feuerwerk wird und seine Mundarttexte nochmals völlig anders wirken, wenn Lenz sie selbst virtuos in ­seinem Oberaargauer Dialekt vorträgt.

Grandseigneur der Schweizer Literatur

«Er ist leise geworden, doch klug geblieben», steht in einer Würdigung zu seinem 85. Geburtstag, den Adolf Muschg vor etwas mehr als einem Monat ­feiern durfte. Der derzeit wohl bedeutendste noch lebende Schweizer Schriftsteller las in Leukerbad vor dem Publikum der «Mitschwitzenden» aus ­seinem 2018 erschienenen Buch «Heimkehr nach Fukushima». Japan, das ist für Muschg eine Herzensangelegenheit. Nicht nur hat er dort gearbeitet und ist seit bald 30 Jahren mit einer Japanerin verheiratet, das Land bildet eine erzählerische Klammer in seinem Werk – angefangen vor fast 60 Jahren mit seinem literarischen Durchbruch «Im Sommer des Hasen» bis hin zu seinem jüngsten Buch «Heimkehr nach Fukushima». Die Erzählung aus der verstrahlten Zone nach dem Super-GAU der 2011 ­explodierten Kernreaktoren ist ein Buch voller Gegensätze. Die Fahrt der Protagonisten, eines Schweizer Architekten und Schriftstellers, der eine Romanze mit seiner japanischen Übersetzerin anfängt, geht durch blühende, wunderschöne Naturlandschaften. Doch der knackende Takt des Geigerzählers erinnert immer an die unsichtbare Gefahr. Bei der Kritik kam der vielschichtige Roman mehrheitlich gut an. So findet etwa die Wochenzeitung «Die Zeit»: «Das Schöne an diesem Buch ist die Kunst, mit der es zwischen philosophischer Reflexion, derber Sinnlichkeit und literarischer Spiegelung die Balance hält.»

Frank O. Salzgeber

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