Region | Analyse zur Kontrolle der Zweitwohnungsanteile
Zweitwohnungsanteile: Bern kontrolliert nur sporadisch
Welche Wohnungen als Zweitwohnungen gelten, können die Gemeinden einfach per Mausklick bestimmen. Birgt dies ein Missbrauchsrisiko, weil das zuständige Bundesamt kaum Möglichkeiten hat, die gelieferten Daten zu überprüfen? Eine Analyse.
In der Gemeinde Bitsch hat das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) im letzten Jahr den ursprünglich ausgewiesenen Zweitwohnungsanteil von unter 20 Prozent nach Prüfung der Wohnungsinventare der Gemeinde auf über 20 Prozent angehoben. Grund für diese Korrektur war die Tatsache, dass in Bitsch sechs Wohnungen länger als zwei Jahre leer standen. Die Gemeinde Bitsch hatte dies in ihrem Inventar zuhanden des ARE so angegeben. Nach dem Gesetz gelten solche Leerwohnungen aber als Zweitwohnungen, was das ARE zu seiner Korrektur des Zweitwohnungsanteils veranlasste (die RZ berichtete). In Bitsch war der Ärger gross, Nationalrat Franz Ruppen reichte gar einen Vorstoss im Parlament ein, wonach Leerwohnungen erst nach fünf Jahren als Zweitwohnungen gelten sollen.
Ein «Fehler» der Gemeinde?
In diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage: Was wäre gewesen, wenn die Gemeinde Bitsch die betroffenen Wohnungen nicht als seit über zwei Jahren leer stehend gemeldet hätte? Wäre es dem Bundesamt für Raumentwicklung aufgefallen, dass die betroffenen Wohnungen eigentlich als Zweitwohnungen gelten müssten? In der Praxis steht den Gemeinden für die Erhebung des Zweitwohnungsanteils nämlich ein Instrument zur Verfügung, mit dem sie die Nutzungsart einer Immobilie deklarieren können. Diese Deklarationen leiten die Kommunen dann an das Bundesamt für Raumentwicklung weiter und bestätigen die Richtigkeit der Daten lediglich mit einer Unterschrift. Hat die Gemeinde Bitsch also einen «Fehler» gemacht, weil sie dem ARE korrekte Daten geliefert und sich so um einen Zweitwohnungsanteil von unter 20 Prozent gebracht hat?
Ein Klick für die Nutzungsart
Bei der Kategorisierung der Nutzungsart der Immobilien steht den Gemeinden indes eine Vielzahl an Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung. Im Groben gibt es drei Kategorien. Reine Erstwohnungen, Erstwohnungen gleichgestellte Zweitwohnungen und reine Zweitwohnungen, wobei eben auch leer stehende Erstwohnungen als solche gelten können. Aus diesen Angaben wird dann die Zweitwohnungsquote errechnet und bei einem Wert von über 20 Prozent ein Baustopp für Zweitwohnungen verhängt. Die Gemeinden sind dabei natürlich daran interessiert, dass ihre Quote unter diesen 20 Prozent zu liegen kommt, weshalb es durchaus in Betracht gezogen werden kann, dass die eine oder andere Zweitwohnung bei der Deklaration zu einer Erstwohnung oder einer Erstwohnung gleichgestellten Zweitwohnung umfunktioniert wird, um einen tieferen Wert zu erhalten und im besten Fall wieder Zweitwohnungen bauen zu können.
Genügend Kontrolle?
Da die Gemeinden bei den Zweitwohnungen sozusagen Kontrolleure und Kontrollierte in persona sind, hängt bei der Richtigkeit der gelieferten Daten viel von den Kontrollen in Bundesbern ab. Allerdings sind die Kontrollinstrumente des Bundesamts für Raumentwicklung eher lasch. «Alle Gemeinden, die einen Zweitwohnungsanteil von über oder unter 20 Prozent aufweisen, bestätigen mit Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit des Wohnungsinventars», schreibt ARE-Mediensprecher Lukas Kistler auf Anfrage der RZ. «Danach überprüft das Bundesamt für Raumentwicklung ARE die von der Gemeinde geführten Wohnungsinventare.» Dazu nehme man Auswertungen vor, um beispielsweise zu prüfen, wo sich bestimmte Wohnungen befänden oder wie lange Leerwohnungen nicht mehr belegt seien, so Kistler weiter. Im Fall von Bitsch führte dies zu einer Korrektur des Zweitwohnungsanteils nach oben. Dennoch muss man beim ARE zugeben, dass grossflächige Kontrollen, ob die durch die Gemeinden angegebene Nutzungsart auch tatsächlich der Realität entspricht, eher weniger zum Tragen kommen. «Stichproben zu bestimmten Wohnnutzungen sind selten», schreibt Kistler. «Wenn, dann betreffen sie beispielsweise unbewohnbare oder zweckentfremdete Wohnungen, wenn dies für die Berechnung des Zweitwohnungsanteils relevant ist.» Zudem konzentriere sich das ARE bei den Überprüfungen auf diejenigen Gemeinden, die knapp über oder unter einem Zweitwohnungsanteil von 20 Prozent liegen würden.
Massiver Sinkflug
Nun ist Bitsch eine jener Gemeinden, welche einen Zweitwohnungsanteil von um die 20 Prozent aufweist, weshalb sich ein Blick auf die Zahlen der Gemeinde lohnt. Von 2014 bis 2017 sank der Anteil der Zweitwohnungen in der Gemeinde um 15 Prozentpunkte auf rund 20 Prozent. Um diese Senkung über den Bau von Erstwohnungen erreichen zu können, hätten im entsprechenden Zeitraum in Bitsch über 350 Erstwohnungen gebaut werden müssen. Zwar gab es in Bitsch eine rege Bautätigkeit, so viele Wohnungen sind dennoch nicht gebaut worden. Die Abnahme des Zweitwohnungsanteils kann also nur über einen Rückgang der Zweitwohnungen zustande gekommen sein. In der Tat sank der Zweitwohnungsanteil in Bitsch von 2014 bis 2017 um 60 Prozent. In Zahlen wies die Gemeinde vor fünf Jahren 175 Zweitwohnungen aus, 2017 waren es nur noch 102. Die Gesamtzahl der Wohnungen stieg im gleichen Zeitraum allerdings nur um zwei Wohnungen.
Verschiedene Berechnungen
Trotz des markanten Rückgangs an Zweitwohnungen innert kürzester Zeit geht man beim Bundesamt für Raumentwicklung jedoch nicht davon aus, dass in Bitsch Zweitwohnungen mittels Mausklick in Erstwohnungen umdeklariert wurden. Der Grund dafür liegt in der Erhebung der Daten, wie Lukas Kistler schreibt. «Die Zahlen von 2014 und 2017 lassen sich nicht direkt miteinander vergleichen», so der ARE-Mediensprecher. «Das Zweitwohnungsgesetz trat am 1. 1. 2016 in Kraft. Der Zweitwohnungsanteil basiert seither auf den Wohnungsinventaren der Gemeinden. Davor, also auch 2014, basierten die Zahlen indes auf der Gebäude- und Wohnungsstatistik des Bundesamts für Statistik.» Alle Wohnungen, die nicht dem dauernden Aufenthalt dienten, seien damals als «vermutete» Zweitwohnungen gezählt worden. «Deshalb ist die Anzahl dieser Zweitwohnungen viel höher, als wenn sie aufgrund der Wohnungsinventare berechnet worden wäre», so Kistler weiter.
Mehr Kontrolle wünschenswert
Auch wenn sich der massive Rückgang an Zweitwohnungen in verschiedenen Gemeinden gut erklären lässt, so zeigt sich dennoch, dass gerade in Kommunen, in denen der Zweitwohnungsanteil knapp über 20 Prozent liegt, durchaus die Gefahr besteht, dass die Nutzungsart einer Wohnung zugunsten einer «positiven» Zweitwohnungsbilanz umdeklariert wird. Zu stark fällt nämlich der «Wegfall» einer Zweitwohnung bei einem Verhältnis von 80 zu 20 ins Gewicht. Es scheint etwas blauäugig, dass sich das ARE bei den gelieferten Daten fast vollständig auf die Aufrichtigkeit der Gemeinden verlässt, auch wenn Lukas Kistler betont, dass «die Gemeindebehörden dazu verpflichtet sind, die Inventare wahrheitsgemäss zu führen, da sie sich andernfalls strafbar machen». Ein besserer Kontrollmechanismus wäre durchaus wünschenswert, immerhin handelt es sich bei der Zweitwohnungsgeschichte um einen Teil unserer Verfassung.
Martin Meul
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